Ausgabe November 2016

»Weil wir es uns leisten können«

Wie und warum wir über die Verhältnisse anderer leben

A rising tide lifts all boats, die Flut hebt alle Boote: Dieses in den frühen 1960er Jahren durch den US-amerikanischen Lieblingspräsidenten John F. Kennedy popularisierte Fortschrittsmotto und Beruhigungsmantra für die wohlstandskapitalistische Gesellschaft ist heute unglaubwürdig geworden. Der Wohlstandskapitalismus hat die innergesellschaftlichen Ungleichheiten zuletzt nicht mehr abmildern können, sondern tendenziell verschärft. Und weltgesellschaftlich gesehen hat er den Globus im 20. Jahrhundert tatsächlich überschwemmt – mit Überfluss hier und Überflutungen dort. Diese Fluten kommen nicht etwa nach uns: Die Sintflut ist schon da, gleich neben uns.

Eines der beliebtesten Versatzstücke des üblicherweise „neoliberal“ genannten, vielleicht aber treffender als „wohlstandsautoritär“ zu bezeichnenden gesellschaftlichen Diskurses lautet, wir hätten „über unsere Verhältnisse“ gelebt. In der Regel wird dieser scheinbare Selbstvorwurf von sogenannten Wirtschaftsweisen und vermeintlich verantwortungsbewussten Finanzpolitikern jeweils an andere adressiert, nämlich an ein gesellschaftliches Publikum, dem bedeutet wird, seine materiellen Ansprüche seien mit der Zeit über die Maßen gewachsen und gefährdeten die fortgesetzte ökonomische Prosperität des Gemeinwesens.

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (10.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Mythos grüne Digitalisierung

von Ingo Dachwitz, Sven Hilbig

Der Klang der Zukunft ist ein leises, elektrisches Dröhnen, das in den Knochen vibriert. Hier im Rechenzentrum herrscht niemals Stille. Es ist erfüllt von einem monotonen Chor mechanischer Flüstertöne.