Ausgabe Dezember 1990

Salto Mortale in die Marktwirtschaft

Die sowjetische Wirtschaftsreform am Wendepunkt

I

Ohne Zweifel: In vielen Bereichen ist die Sowjetunion nicht mehr wiederzuerkennen. Nehmen wir soziale und politische Orientierungs- und Wertungsmuster als Beispiel. "Markt" und "Privateigentum" wirken heute als magische Formeln, geeignet, Wohlstand für alle und sofort aus dem Hut zu zaubern. "Es kann keinen anderen Rettungsweg außer der Marktwirtschaft geben, etwas Besseres hat die Menschheit nicht erfunden", versichert E. Prigozin aus Slancy in einem Leserbrief an die "Izvestija" (vom 7. September 1990, S. 3). Und A. Kazincev aus Ceboksar ergänzt: "Markt ohne Privateigentum, das ist wie Wodka ohne Prozente". Auf die fällige ideologische Revision dringt Dr.-Ing. Pugin aus Moskau: "Entschieden zu überdenken ist die These des Marxismus, daß zum Aufbau des Sozialismus gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln unerläßlich ist... Schon heute gibt es in den entwickelten kapitalistischen Ländern mehr Sozialismus als in unserem Land."

Und, gleichsam als Echo westlicher Neoliberaler, fügt G. Samota aus Leninsk-Kuzneckij hinzu: "Weshalb sollen wir so leben, wie Marx vor 150 Jahren schrieb?" Es ist offenkundig und durchaus begreiflich: "Markt" und "Privateigentum" sind in diesem Verständnis Synonyme für allgemeinen materiellen Wohlstand.

Dezember 1990

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema