Ausgabe November 2025

Die verharmloste Diktatur: Franco-Renaissance in Spanien

Zu Francos Todestag bringen Menschen Blumen zum Grab des Diktators auf dem Mingorrubio-Friedhof am Rande Madrids, 20.11.2020 (IMAGO / ZUMA Press Wire / Indira)

Bild: Zu Francos Todestag bringen Menschen Blumen zum Grab des Diktators auf dem Mingorrubio-Friedhof am Rande Madrids, 20.11.2020 (IMAGO / ZUMA Press Wire / Indira)

Am 20. November jährt sich der Todestag des Diktators Francisco Franco zum 50. Mal. Fast vier Jahrzehnte, vom Ende des Bürgerkrieges (1936 bis 1939) bis zu seinem Tod 1975, regierte der General das Land mit harter Hand. Gemeinsam mit Portugal wurde Spanien so zur langlebigsten Diktatur des Westens. 

Spanien hat lange gebraucht, um zu einem angemessenen Umgang mit dem Erbe der Diktatur und der Figur des Diktators zu finden. Während es im Nachbarland Portugal durch die Nelkenrevolution von 1974 zu einem klaren Bruch mit dem Regime kam, erfolgte der Übergang zur Demokratie in Spanien fließend – nach dem natürlichen Tod des Diktators, unter Mitwirkung der franquistischen Eliten und der wieder zugelassenen Opposition. 

Das konditionierte die Formen des Gedenkens: Es kam weder zu einer juristischen noch zu einer erinnerungspolitischen Aufarbeitung des Regimes. Der Diktator fiel über Jahrzehnte dem Vergessen anheim. 

Seinen rechtlichen Rahmen fand dieses Vergessen in den Amnestiegesetzen von 1976 und 1977, die Straffreiheit für alle während der Diktatur verübten politischen Straftaten zusicherten.[1] Zu seinem gesamtgesellschaftlichen Ausdruck wurde die langjährige stillschweigenden Übereinkunft, zu Jahrestagen und an relevanten Erinnerungsorten nur ein solches Gedenken zuzulassen, das nicht an alten Wunden rührt: Man ließ die Dinge auf sich beruhen, im Wortsinn wie im übertragenen Sinn.[2]

Bis weit in die 2000er Jahre fanden sich in spanischen Städten Reiterstandbilder und Straßen mit dem Namen des Diktators. Seine sterblichen Überreste lagen noch bis 2019 im „Valle de los Caídos“, dem gewaltigen Mausoleum im Nordwesten Madrids, das Franco bereits zu Lebzeiten als Mahnmal an seinen Sieg im Bürgerkrieg hatte errichten lassen. Und auch in der öffentlichen Debatte spielte die Figur des Diktators kaum eine Rolle, auch nicht in Bildung und Erziehung.

Über die möglichen negativen Spätfolgen dieser freiwilligen Amnesie wird in Spanien seit Jahren intensiv diskutiert. Mit zwei großen erinnerungspolitischen Initiativen hat das Land versucht, zu einem neuen Umgang mit seiner Vergangenheit zu finden. Beide wurden von Regierungen unter Führung des sozialdemokratischen PSOE initiiert. Während sich das unter Premier José Luis Rodríguez Zapatero verabschiedete Ley de Memoria Histórica von 2007 auf eine Tilgung franquistischer Zeichen im öffentlichen Raum und eine symbolische Anerkennung der Opfer des Regimes fokussiert, geht die Reform durch das Ley de Memoria Democrática von 2022 wesentliche Schritte weiter: Das Gesetz stärkt die Anerkennung der Diktaturopfer, indem es deren Verurteilungen für null und nichtig erklärt (ohne dass sie daraus jedoch einen Anspruch auf Reparationen ableiten können) und definiert die Auseinandersetzung mit der Diktatur zum Kernbestand demokratischer Bildung. 

Bildungsexperten sehen das als längst überfälligen Schritt, denn lange wurden Bürgerkrieg und Diktatur in der Schule so gut wie gar nicht behandelt, und wenn überhaupt, dann nur in den letzten Jahren auf der weiterführenden Schule. „Gemessen an dem, was ein erwachsener Mensch in einer Demokratie wissen sollte, haben die spanischen Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schulzeit eher ungenügende Kenntnisse über die Franco-Diktatur“, so der Geschichtslehrer und Historiker Néstor Banderas Navarro.[3] 

Mangel an historischer Bildung

In unregelmäßigen Abständen befragen spanische Medien junge Menschen nach ihren Kenntnissen zum Diktator – und erhalten Antworten wie „Der Mann, der den Bürgerkrieg beendet hat“ oder „Er starb im Bürgerkrieg, danach war Spanien eine Demokratie“, was stets kurzfristig für Empörung sorgt.[4] Doch jenseits dieser eher anekdotischen Evidenz zeigen Untersuchungen die Folgen dieser Geschichtsvergessenheit: Laut dem spanischen Meinungsforschungsinstitut CIS würden 17 Prozent der Spanierinnen und Spanier zwischen 18 und 34 Jahren unter bestimmten Umständen einem autoritären Regime den Vorzug vor einem demokratischen geben. 

Gemeinsam mit seinem Kollegen Carlos Fuertes Muñoz hat Banderas Navarro analysiert, wie Bürgerkrieg und Diktatur in der Schule behandelt wurden.[5] Bis 1990 nahm die Franco-Diktatur in den Lehrbüchern der elften Klasse, dem vorletzten Schuljahr der weiterführenden Schule, im Schnitt nur 3,6 Seiten ein; zehn Jahre später waren es immerhin 11,2 Seiten. In den 2000er Jahren wurden die Inhalte über die 40-jährige Diktatur erneut gestrafft, nur um wenig später, ab 2006, wieder erweitert zu werden. 

Die aktuellen bildungspolitischen Vorgaben verankern die Auseinandersetzung mit der Militärdiktatur spätestens in der zehnten Klasse, dem letzten Jahr der Schulpflicht. Auch jenseits des Geschichtsunterrichts sollen demokratische Werte gelehrt und gelernt werden. Als Schritt in die richtige Richtung wertet das Banderas Navarro, doch die Gewichtung sei immer noch ungenügend. 

Ähnlich wie in Deutschland sind in Spanien die den Bundesländern vergleichbaren Autonomen Gemeinschaften für Erziehung und Bildung zuständig. Ihnen obliegt, wie sie die Vorgaben aus dem Bildungsministerium umsetzen. Derzeit hätten nur drei der 17 Autonomen Gemeinschaften die Lehrpläne der Klasse 10 für das 20. Jahrhundert reserviert. „Auch mit den heutigen Vorgaben ist es möglich, dass Schüler die Schule beenden, ohne mit dem Thema Franco-Diktatur in Berührung gekommen zu sein“, zieht der Historiker Navarro ein ernüchterndes Fazit.

Der erratische Umgang mit der Diktatur im Unterricht erklärt sich auch durch die häufig wechselnden Vorgaben aus Madrid. Seit der Demokratisierung des Landes gab es acht unterschiedliche Schulgesetze, mit einer jeweils anderen Fächergewichtung und unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten. „Vor allem die konservative Volkspartei hatte wenig Interesse, Zeitgeschichte im Lehrplan zu verankern“, so Banderas Navarro. Sowohl während der Amtszeit des konservativen Premiers José María Aznar (1996 bis 2004) als auch unter der seines Parteifreundes Mariano Rajoy (2011 bis 2018) wurden die Lehrinhalte des Faches Geschichte von der Ur- und Frühgeschichte bis in die Zeitgeschichte erweitert. Der Fokus dabei lag, so die Forscher, auf „nationalistisch interpretierbaren“ Kapiteln wie der „Reconquista“, der Rekatholisierung der iberischen Halbinsel. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Diktatur blieb dementsprechend weniger Platz.[6]

Die Folge daraus: Teils noch aus der Diktatur herrührende Mythen haben bis heute überlebt. Dazu zählt auch die Vorstellung, das Land verdanke den wirtschaftlichen Wohlstand ab den 1960er Jahren in erster Linie der Politik des Regimes, das damit die Grundlagen für die spätere Demokratisierung gelegt habe – eine These, die in der Forschung als widerlegt gilt. „Solche Vorstellungen banalisieren die repressive Dimension des Franco-Regimes und schwächen die demokratische Kultur“, urteilt Banderas Navarro. 

Davon profitiert vor allem die rechtsextreme Vox, derzeit drittstärkste Kraft im spanischen Parlament. Die Partei arbeitet in den sozialen Netzwerken gezielt mit historischen Mythen und Versatzstücken und dockt so gerade bei jungen Leuten an eine unbestimmte Wut über das politische System an. Laut einer Befragung vom September 2025 würden derzeit 30 Prozent der Spanier unter 35 Jahren ihr Kreuz bei den Rechtsextremen machen – bei den über 65-Jährigen sind es nur zehn Prozent. Junge Männer sind dabei mit 40 Prozent deutlich stärker vertreten als junge Frauen (21 Prozent) – allerdings steigt auch unter jungen Frauen die Bereitschaft, für Vox zu stimmen.[7]

Das Überdauern – und Wiedererstarken – der Mythen über die Franco-Diktatur verstärkt aber nicht nur unter jungen Wählerinnen und Wählern die wachsende Skepsis gegenüber demokratischen Werten. Der Historiker Julián Casanova, Autor einer vielbeachteten Franco-Biographie[8], sieht auch einen Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft. 

In den ersten Jahren der Demokratisierung seien die Historiker noch durchaus hart mit dem Franco-Regime ins Gericht gegangen – in einem gewissen Widerspruch zur zunächst vertagten politischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der Diktatur. Doch habe sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine eher promonarchistische Linie durchgesetzt. Die Zeit der transición, der Demokratisierung nach Francos Tod 1975, gelte dabei als sakrosankter Gründungsmythos des modernen Spaniens, eine Erzählung, die auch der These von der Modernisierungsdiktatur wieder Aufschub verleihe. „In diesem Zusammenhang werden auch Stereotype verbreitet, die bis vor einigen Jahren nur unter Historikern gebräuchlich waren, die eindeutig auf Seiten Francos standen“, so Casanova.[9]

Saubermann Franco?

Dazu zählt Casanova beispielsweise die schon zu Lebzeiten des Diktators aus propagandistischen Zwecken verbreitete Idee, dass Franco ein extrem bescheidenes Leben geführt habe und allein deswegen über alle Korruption erhaben gewesen sei. Eine These, die sich vor dem Hintergrund der Forschung nicht halten lässt. Vielmehr war zu Diktaturzeiten die Vergabe von Vergünstigungen und Privilegien ein Instrument, um sich Loyalitäten zu sichern – und die Familie des Diktators nutzte Staatseigentum und Einfluss gezielt, um sich wirtschaftlich zu bereichern.[10] Dass Franco selbst weder einen Hang zu opulenten Gelagen noch zu Luxus hatte, spielt dabei keine Rolle. Dennoch konstruieren interessierte Kreise vor dem Hintergrund wiederkehrender Korruptionsfälle in den spanischen Parteien, derzeit vor allem im regierenden PSOE, einen eigentümlichen und faktisch nicht haltbaren Kontrast zwischen einem „sauberen“ Diktator und „korrupten Demokraten“.

Diesen Geschichtsrevisionismus, der seit Anfang der 2000er Jahre immer wieder aufflammt, sieht Casanova auch im langanhaltenden Verkaufserfolg von Autoren wie Pío Moa und César Vidal. Die beiden konservativen Historiker verfügen durch ihre regelmäßige Teilnahme an den in Spanien besonders beliebten Talkrunden über eine relevante Reichweite deutlich über Fachkreise hinaus. Ihre Interpretationen von Zweiter Republik, Bürgerkrieg und Franco-Diktatur habe, so Casanova, den Weg geebnet für eine Geschichtsdeutung, wie sie sich inzwischen auch prominente Stimmen der konservativen Volkspartei zu eigen machen. 

So gab die ehemalige Madrider Regionalpräsidentin Esperanza Aguirre in einem Interview mit der linksliberalen Tageszeitung „El País“ kürzlich zu Protokoll, die Franco-Diktatur sei letztlich besser als die Zweite Republik gewesen, weil sie das Entstehen einer bürgerlichen Mittelschicht ermöglicht habe.[11] Ihre Fortsetzung fand diese Deutung in einer Rede des Parteivorsitzenden Alberto Núñez Feijóo Anfang Oktober: In dieser konstruierte er einen Gegensatz von Wohlstand und Demokratie und kritisierte, die Linke habe der Demokratie den Vorzug gegeben und so der Verarmung Vorschub geleistet. Als „absolutes Novum“ in der Diskursgeschichte der spanischen Demokratie bezeichnet der Journalist Enric Juliana eine solche Gegenüberstellung und verweist auf Argumentationsmuster, die auch bei der rechtsextremen Vox üblich seien.[12] Für Casanova kommt das wenig überraschend: „Spaniens Konservative haben keine demokratische Rechte, auf die sie sich berufen können, sondern haben sich direkt aus dem Franquismus entwickelt.“ Es gehe in gewisser Weise immer auch um die Verteidigung der eigenen Essenz. 

Geschichtsrevisionismus der Konservativen

Der grassierende Revisionismus der Konservativen erschöpft sich denn auch nicht in bloßer Diskursverschiebung. Die Volkspartei regiert derzeit in elf der 17 Autonomen Gemeinschaften sowie in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla. Zwei dieser Autonomen Gemeinschaften, die Regionen Madrid und Valencia, haben die im Ley de Memoria Histórica vorgesehenen Weiterbildungen und Schulungen für Lehrende zu den Themenkomplexen Diktatur und Demokratie inzwischen ausgesetzt – wegen einer angeblich angestrebten „politischen Indoktrinierung“. 

Die Zentralregierung hat dagegen angekündigt, ersatzweise das staatliche Kursangebot zu erweitern. Dass die Grabenkämpfe zwischen spanischen Konservativen und Sozialdemokraten vor allem auf dem Gebiet der Erinnerungspolitik ausgetragen werden, ist für Spanien nichts Ungewöhnliches. Doch dass dies exakt fünfzig Jahre nach dem Tod des Diktators mit solch affirmativer Vehemenz geschieht, gibt zu besonderer Besorgnis Anlass.

[1] Carlos Collado Seidel, Franco. General – Diktator – Mythos, erweiterte Neuauflage, Stuttgart 2025, S. 251.

[2] Julia Macher, Verdrängung um der Versöhnung willen? Die geschichtspolitische Auseinandersetzung mit Bürgerkrieg und Franco-Diktatur in den ersten Jahren des friedlichen Übergangs von der Diktatur zur Demokratie in Spanien (1975-1978), Bonn 2002. 

[3] Interview mit der Autorin im März 2025 für Deutschlandfunk, Europa heute. 

[4] Natalia Junquera, Desconocimiento y apología del franquismo en Tik Tok: el cóctel que empuja a jóvenes al revisionismo histórico, in: „El País“, 2.2.2025.

[5] Carlos Fuertes Muñoz und Néstor Banderas Navarro, Franquismo y transición en las aulas: enseñanza y memoria democrática, in: „Ayer“, 3/2024, S. 329-348.

[6] Ebd., S. 334.

[7] Borja Andrino und Kiko Llaneras, Quiénes son los nuevos votantes de Vox?, in: „El País”, 14.9.2025.

[8] Julián Casanova, Franco, Barcelona 2025.

[9] Interview mit der Autorin, März 2015, u.a. für Deutschlandfunk.

[10] Ángel Viñas, La cara oculta del Caudilla. Barcelona 2015; Mariano Sánchez Soler, La familia Franco S.A., Barcelona 2025.

[11] Vgl. Esperanza Aguirre: „A la larga, la dictadura fue mejor que la II República“, in: „El País“, 5.6.2025.

[12] Enric Juliana, Democracia contra prosperidad, último hallazgo de Feijóo, in: „La Vanguardia“, 4.10.2025.

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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