Ausgabe Oktober 1990

Viel Marktvertrauen, wenig Politik

Die Kosten der Einheit und die Notwendigkeit eines Zukunftsprogramms

Das Ziel des im September ratifizierten Einigungsvertrags mit seinen 45 Artikeln samt fast 1000 Seiten Anhang ist klar: Das bisherige Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der DDR soll innerhalb einer vergleichsweise kurzen Anpassungsphase auf bundesrepublikanische Verhältnisse zugeschnitten werden. Insoweit führt diese Integration zu einer Ausdehnung des bisherigen Bundesgebiets auf das Gebiet der ehemaligen DDR. Mit Blick auf das Ende der DDR wäre es jedoch abenteuerlich, von einer Annexion durch ein Zusammenspiel von "Kapital und Kabinett" in der Bundesrepublik zu sprechen. Wo bleiben bei einer solchen undialektischen Annexionsthese die demokratischen Bewegungen in der DDR, die Kräfte am "Runden Tisch", die gegen erbitterten Widerstand der ehemaligen Staatsgewalt eine Transformation der ökonomischen und sozialen Verhältnisse innerhalb der DDR durchsetzen wollten? Die entscheidende Ursache für das Ende der DDR lag in ihrer Unfähigkeit zur demokratischen und ökonomischen Reform.

Was aber dieser "Einigungsvertrag" (vgl. Dokumentation in diesem Heft) endgültig besiegelt, ist die Tatsache, daß ein gegenüber den bundesrepublikanischen Verhältnissen alternativer Entwicklungsweg nicht einmal für eine Phase des Umbaus zugelassen wurde. Die Politik der herrschenden Kräfte in der Bundesrepublik verschaffte sich nach dem 9.

Oktober 1990

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