Ausgabe März 1991

Im Spiegelkabinett der Feindbilder

Der Krieg kehrt die Erfahrungen des Alltagslebens um: Gerade, was ich nicht weiß, macht mich heiß. Die Ängste, die der Krieg am Golf erzeugt, werden durch die Zensurpolitik der Medien verstärkt. Schon lange vor dem realen Kriegsanfang begann eine Schlacht um die Mattscheibe, über die in der modernen Gesellschaft Politik verkauft wird. Massenmedien arbeiten mit den Mitteln einer umgekehrten Psychoanalyse, wie der Kulturkritiker Leo Löwenthal es bezeichnet hat. Sie beuten die Emotionen der Zuschauer aus, entziehen sie der rationalen Bearbeitung und untergraben in diesem Prozeß die demokratische Urteilsbildung. Irrational sind immer nur die anderen. Der "Irre aus Bagdad" soll die Chiffre für einen unberechenbaren Feind sein. Die diffuse Bedrohung, die von der Politik Saddam Husseins ausgeht, wird durch das Feindbild eines Wahnsinnigen manipuliert, um jede Aktion zu rechtfertigen.

Die Politik Saddam Husseins richtet sich nach der Logik der arabischen Politik; denn der Iraker greift nach Vormacht im arabischen Raum. Sein empörender Angriff auf das unbeteiligte Israel zielt auf das in der arabisch-islamischen Welt akzeptierte Israel. "Israel" dient in diesem Raum als Chiffre für die mißglückte Befreiung vom Kolonialismus; Israel wird zum Sinnbild mißglückter Emanzipation.

März 1991

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