Vor dreizehn Jahren machte Helene Carrere d'Encausse auf die wachsende Kluft aufmerksam, die sich zwischen europäischen und orientalischen Regionen der UdSSR in der demographischen, sozialökonomischen und kulturellen Entwicklung öffnete. Gleichzeitig erbrachten westliche Darstellungen auf der Grundlage sowjetischer Quellen den Nachweis, daß der Islam in den orientalischen Regionen der Sowjetunion trotz massiver Religionsbekämpfung als kulturelle, religiöse und nationale Kraft eindeutig überlebt hatte. Als dann in der südlichen Nachbarschaft der Sowjetunion "fundamentalistische" Strömungen des Islam neue politische Verhältnisse schufen und im Iran sogar den "islamischen Staat" realisierten, als schließlich der "Dschihad" gegen die sowjetische Kriegsmacht in Afghanistan auf sowjetisches Territorium überschwappte, da schlug bis dahin weitgehendes Desinteresse am sowjetischen Islam im Westen in eine Wahrnehmung um, in der die heute rd. 60 Millionen Muslime in Zentralasien, Transkaukasien, im Nordkaukasus und an der Wolga als geschlossenes nationalreligiöses Potential und als Sprengsatz im Nationalitätengefüge der Sowjetunion präsentiert wurden.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.