Vor dreizehn Jahren machte Helene Carrere d'Encausse auf die wachsende Kluft aufmerksam, die sich zwischen europäischen und orientalischen Regionen der UdSSR in der demographischen, sozialökonomischen und kulturellen Entwicklung öffnete. Gleichzeitig erbrachten westliche Darstellungen auf der Grundlage sowjetischer Quellen den Nachweis, daß der Islam in den orientalischen Regionen der Sowjetunion trotz massiver Religionsbekämpfung als kulturelle, religiöse und nationale Kraft eindeutig überlebt hatte. Als dann in der südlichen Nachbarschaft der Sowjetunion "fundamentalistische" Strömungen des Islam neue politische Verhältnisse schufen und im Iran sogar den "islamischen Staat" realisierten, als schließlich der "Dschihad" gegen die sowjetische Kriegsmacht in Afghanistan auf sowjetisches Territorium überschwappte, da schlug bis dahin weitgehendes Desinteresse am sowjetischen Islam im Westen in eine Wahrnehmung um, in der die heute rd. 60 Millionen Muslime in Zentralasien, Transkaukasien, im Nordkaukasus und an der Wolga als geschlossenes nationalreligiöses Potential und als Sprengsatz im Nationalitätengefüge der Sowjetunion präsentiert wurden.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.