Eine Analyse des Sozialdezernats der Stadt Düsseldorf
Mit "Stunde Null" ist der Zustand bezeichnet, der zumindest für Teile unserer Gesellschaft der erstrebenswerte zu sein scheint: ein Deutschland ohne "Ausländer". Die Ausländerfeindschaft wird geschürt von irrationalen Ängsten und verbreiteter Unkenntnis oder Fehlinformation über den Beitrag, den die sog. Ausländer und Ausländerinnen zum bundesdeutschen Wirtschafts- und Sozialsystem leisten. Um dem entgegenzuwirken, hat das Sozialdezernat der Stadt Düsseldorf mit der nachstehend dokumentierten Studie vom Januar 1992 in Zahlen und Fakten nachgewiesen was es tatsächlich bedeuten würde, wenn alle "ausländischen Mitbürger" die Stadt verließen. Die Analyse der fiktiven Situation "ausländerfreies Düsseldorf" belegt die gravierenden wirtschaftlichen Folgen, die der Wegzug der rund 80000 Ausländer für alle Einwohner der Stadt hätte. Die Düsseldorfer Studie wird Schule machen: für die Stadt Frankfurt ist bereits ein vergleichbares Projekt in Vorbereitung. D. Red.
In Düsseldorf leben 79685 Ausländer (Stand 31.12.1990), das sind 13,84 % der Gesamteinwohner. Sie haben einerseits Anteil an der Erstellung und Steigerung des Bruttosozialproduktes, andererseits fördern sie unsere Wirtschaft als Konsumenten. Hinzu kommen die ausländischen Pendler, die in Düsseldorf arbeiten und einkaufen, aber in den Nachbarorten wohnen.
1. Beschäftigungsstruktur in Düsseldorf
1.1 Herstellung/Fertigung
Anhand einiger Beispiele sollen die Auswirkungen in Herstellung und Fertigung verdeutlicht werden. (Zahlreiche Tabellen hierzu finden sie in der PDF Datei)
1.2 Dienstleistungen/Infrastrukturaufgaben
An den nachfolgend aufgeführten Beispielen soll verdeutlicht werden, daß auch im Bereich des Dienstleistungsgewerbes und bei den Infrastrukturaufgaben durch den Weggang von Ausländern Engpässe entstehen würden. Besonders schwerwiegende Folgen ergäben sich im Bereich der Kranken- und Altenpflege.
Tabelle 5 Anteile ausländischer Beschäftigter in der Kranken- und Altenpflege (siehe PDF Datei)
Auch die weiteren Beispiele zeigen, daß sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens das Fehlen ausländischer Arbeitskräfte bemerkbar machen würde. Staatliche und kommunale Aufgaben, wie Personen-, Brief- und Güterverkehr wären empfindlich betroffen.
Tabelle 6 Anteile ausländischer Beschäftigter in ausgewählten Dienstleistungsbereichen (siehe PDF Datei)
Tabelle 7 Anteile ausländischer Beschäftigter in ausgewählten Dienstleistungsberufen (siehe PDF Datei)
Besonders deutlich wird die Einschränkung der Dienstleistungen im öffentlichen Nahverkehr.
So beschäftigt die Rheinbahn Düsseldorf 594 ausländische Arbeitnehmer, von denen allein 59,43% am Fahrdienst beteiligt sind.
1.3 Arbeitslosenstruktur in Düsseldorf
Tabelle 8 Arbeitslose in Düsseldorf sstruktur in Düsseldorf (siehe PDF Datei)
In einer hochtechnisierten Wirtschaft wie in der Bundesrepublik Deutschland ist ein einfacher Austausch "Arbeitslose gegen Stelleninhaber (z.B. Ausländer)" nicht möglich. Zum einen fehlt es auch bei gleicher Berufsbezeichnung - an dem notwendigen Spezialwissen und sicher auch hin und wieder an der entsprechenden Arbeitsbereitschaft. Die Anzahl der offenen Stellen und die verzweifelte Suche nach Fachkräften, auch bei einer stattlichen Zahl von Arbeitslosen in derselben Berufsgruppe, zeugt von dem kurzund mittelfristig nicht ersetzbaren Ausländeranteil der Beschäftigten in den Düsseldorfer Betrieben.
So ist es aufgrund der Arbeitslosenstruktur in Düsseldorf und der Beschäftigungsstruktur der Betriebe völlig ausgeschlossen, die Mehrzahl der beschäftigten Ausländer durch Deutsche zu ersetzen. Tatsache ist, daß die Notwendigkeit ausländischer Arbeitskräfte durch die Klagen vieler Düsseldorfer Unternehmen über Fachkräftemangel belegt wird.
Tabelle 9 Arbeitslose in Düsseldorf (siehe PDF Datei)
Anhand einiger Beispiele soll für Berufsgruppen mit hohem Ausländeranteil gezeigt werden, daß ein Weggang von Ausländern die Arbeitslosigkeit insgesamt nicht wesentlich mindert. Die Zahl der offenen Stellen belegt, daß arbeitslose Deutsche selbst heute schon diese Arbeitsplätze nicht besetzen können, oder wollen.
2. Steuern und Sozialabgaben
Ein Arbeitskräfteverlust hätte u.a. Produktionseinschränkungen mit diesen Konsequenzen zur Folge: - Entlassung von deutschen Arbeitern und Angestellten; - Ausfall von Lohn-/Einkommensteuern; - Ausfall von Rentenversicherungsträgern; - Ausfall anderer Sozialversicherungsträger; - Ausfall von Gewerbesteuer.
3. Bruttosozialprodukt
Aufgrund der ungleich proportionalen Verteilung der ausländischen Arbeitnehmer in einem Betrieb (Fertigung, Verkauf, Marketing, Einkauf, Buchhaltung usw.) liegt der Produktionsausfall und damit die Minderung des Bruttosozialprodukts bei weitem höher als der prozentuale Anteil der ausländischen Arbeitnehmer. Der Verlust der ausländischen Einkommen würde dem Düsseldorfer Wirtschaftskreislauf einen so hohen Anteil entziehen, daß die Auswirkungen der eintretenden Kettenreaktion im ungünstigsten Fall zum Wirtschaftskollaps führen können: Weniger Umsätze > Entlassung von Personal im Handel > Drosselung der Warenproduktion > Entlassung von Arbeitskräften in der Herstellung > noch weniger Umsätze... usw. Das hätte u.a. auch erhebliche Auswirkungen auf die Gewerbesteuer; hiervon wäre der städtische Haushalt direkt betroffen.
4. Export
Die Gelder, die nicht auf direktem Wege in den Düsseldorfer Wirtschaftskreislauf fließen, gelangen über den Umweg "Import" nach Düsseldorf. Dadurch, daß ausländische Arbeitnehmer einen erheblichen Teil ihres Einkommens in die Heimatländer überweisen, sind diese erst in der Lage, Aufträge an deutsche Firmen zu erteilen. In Nordrhein-Westfalen (für Düsseldorf liegen keine Zahlen vor) betrug 1990 der Exportanteil in die Entsendeländer ("klassische Anwerbeländer"):
5. Kindergärten und Schulen
Nicht verschwiegen werden soll ein Aspekt, der auf den ersten Blick für einen Wegzug zu sprechen scheint; die Entlastung von Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, einer Altersgruppe, in der Ausländer überproportional vertreten sind: Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtungen. Langfristig gesehen hätten wir diese vorübergehende Einsparung in dem genannten Infrastrukturbereich mit einer noch weiteren Überalterung der Bevölkerung teuer zu bezahlen. Ein Blick auf die Bevölkerungsstatistik und die von allen als eine der größten Bedrohungen für unser soziales Leistungssystem apostrophierte "Alterspyramide" machen das für Düsseldorf deutlich.
6. Bevölkerungsstatistik
Die unterschiedlichen Strukturen der Alterspyramiden werden sich langfristig stabilisieren, denn bei der deutschen Wohnbevölkerung Düsseldorfs wird bereits heute eine große Diskrepanz zwischen Geburten und Sterbefällen deutlich.
So standen im Jahr 1989 den 5500 Geburten 7300 Sterbefälle gegenüber. Bei der ausländischen Bevölkerung wurden 1000 mehr Geburten als Sterbefälle verzeichnet. Dies liegt vor allem daran, daß zu Beginn der Arbeitsmigration vor 20 bis 30 Jahren vorrangig junge Ausländer und Ausländerinnen eingewandert sind, die die entsprechende Altersgrenze noch nicht erreicht haben und nicht, wie vielfach behauptet, daß ausländische Frauen auch heute noch mehr Kinder bekommen. Damit kann das Argument der oft zitierten Überfremdung entkräftet werden.
7. Wohnungsmarkt
Als weiteres Argument für den Wegzug von Ausländern wird die Entspannung auf dem Wohnungsmarkt genannt. Dabei muß allerdings gesehen werden, daß sich der Wohnungsmarkt entschieden verändert hat.
So würde der Wegzug von Ausländern die angespannte Situation nur unzureichend lösen. Ausländer wohnen vielfach in unattraktiven Randlagen und dabei in alten, qualitativ minderwertigen Wohnungen, die von deutschen Wohnungssuchenden nicht oder nur nach umfangreicher Renovierung und Modernisierung angenommen würden. Dies bedeutet jedoch in der Regel Mieterhöhungen, damit Schaffung zusätzlicher teurer Wohnungen und keine Entlastung im Bereich des dringend benötigten preiswerten Wohnraums. Die Situation stellt sich in Düsseldorf derzeit wie folgt dar:
Tabelle 13 Wohnungsmarkt in Düsseldorf siehe PDF Datei
Der Vergleich zeigt, daß trotz des derzeitigen extremen Wohnungsnotstandes, unabhängig von der niedrigen Qualität der Wohnungen, erhebliche Leerstände entstehen würden, dies bedeutet "totes Kapital" mit allen Negativfolgen.
Schlußbemerkung
Anhand der aufgeführten Beispiele sollte die Ernsthaftigkeit der Situation dargestellt werden, die eintritt, wenn Ausländer unsere Stadt verlassen. Es sollte deutlich gemacht werden, daß alle Bereiche und in erster Linie die Wirtschaft dieser Stadt durch den Wegzug der ausländischen Arbeitnehmer betroffen wären. Die Forderung, "Ausländer so schnell wie möglich wieder nach Hause zu schicken" mit dem Ziel, den Arbeitsmarkt zu "gesunden", ist irreal und unüberlegt. Die Konsequenzen wären zusätzliche harte wirtschaftliche Nachteile und Einschränkungen der sozialen Infrastruktur und damit eine erhebliche Minderung der Lebensqualität und Attraktivität der Landeshauptstadt. In einigen Bereichen ginge in dieser Stadt buchstäblich das Licht aus.
Es soll jedoch nicht der Eindruck vermittelt werden, daß hier lediglich der "Nutzeffekt" der Ausländer in Düsseldorf dargestellt wird. Viele wirtschaftsnahe Organisationen, wie z.B. der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) oder das Deutsche Institut der Wirtschaft (DIW) haben inzwischen bundesweit auf die Bedeutung ausländischer Arbeitskräfte und deren Notwendigkeit hingewiesen. Diese Darstellungen weisen auf die zu erwartende Verschiebung der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung hin, die große Auswirkungen auf den Altersaufbau der deutschen Erwerbspersonen haben wird. Die Untersuchung zur "Stunde Null" hat diese Darstellungen eindrucksvoll für Düsseldorf bestätigt, Die negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Infrastruktur in Düsseldorf wären so drastisch, daß allein dadurch die Forderung "Ausländer raus" ad absurdum geführt werden könnte.
Darüber hinaus wären wir Düsseldorfer sicherlich sehr überrascht, wie sehr sich das Fehlen der Ausländer im täglichen Leben bemerkbar machen würde.
Denn das Zusammenleben von Ausländern und Deutschen in dieser Stadt ist im Laufe vieler Jahre unmerklich zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Mit dem Eintreten der "Stunde Null" würde Düsseldorf nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich und kulturell ärmer.