Ausgabe Juni 1992

Einigkeit und Recht und Unrecht

Zum zweitenmal innerhalb eines halben Jahrhunderts steht die deutsche Justiz vor dem Problem einer juristischen Vergangenheitsbewältigung. 1945 begann die Aufarbeitung des NS-Unrechts, 1990 die des DDR-Unrechts. Es ist Zeit für eine Zwischenbilanz. Dem Vergleich mit der Verfolgung von NS-Unrecht kann man nicht aus dem Wege gehen, auch wenn es grundlegende Unterschiede gibt. Jedenfalls deutet sich schon jetzt eine gewisse Gemeinsamkeit an. Auch der Verfolgung von DDR-Unrecht wird kein großer Erfolg beschieden sein. Beim NS-Unrecht gab es ja ein regelrechtes Debakel.

Nachdem die Verurteilung der sogenannten Hauptkriegsverbrecher vor dem alliierten Militärtribunal in Nürnberg von den Deutschen als politische Siegerjustiz begriffen wurde, also als ein Racheakt, der auf der politischen Bühne stattfand und nicht auf einer juristischen Ebene, war der Blick auf das Problem zunächst verstellt. Justitia hatte nicht nur eine Binde vor den Augen, sie war fast blind. Erst sehr spät erkannte man, daß die Verfolgung von NS-Unrecht auch und in erster Linie eine Aufgabe der deutschen Justiz sei. Der Umschwung in der öffentlichen Meinung kam nach 1956, als es Adenauer bei seinem Besuch in Moskau gelungen war, Tausenden von deutschen Kriegsgefangenen den Weg in die Heimat freizumachen.

Juni 1992

Sie haben etwa 9% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 91% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Frieden durch Recht

von Cinzia Sciuto

Am Anfang stand der 11. September 2001. Danach wurde die Lawine losgetreten: Ein langsamer, aber unaufhaltsamer Erdrutsch erfasste die internationale rechtliche und politische Ordnung. Ein Erdrutsch, der nach und nach die supranationalen Institutionen und die stets fragile, aber nie völlig illusorische Utopie einer friedlichen und auf dem Recht basierenden Weltordnung tief erschüttert hat