Ausgabe März 1992

Kassandra warnt nicht mehr

Politik im Ozonloch

In Thomas Manns Zauberberg-Roman gewöhnen sich die Patienten nie so richtig an die dünne Luft des Kurortes Davos.

Aber nach einigen Wochen "gewöhnen sie sich daran, daß sie sich nicht gewöhnen". Der Preis für diese Art, sich ins scheinbar Unabänderliche zu fügen, ist das unablässige Gefühl, leer und benebelt zu sein. Die Mannsche Wendung trifft sehr genau meine Reaktion auf Untersuchungen der NASA, die die chemischen Vorboten des Ozonlochs nun auch in unserer Sphäre ermittelten - noch dazu in global bisher einzigartiger Ausprägung. Da wo bei mir nach all den erfahrbaren oder erlesenen Unglücken im Medium der Natur früher Angst und Schrecken waren, ist nun nur noch ein Hohlraum. Kostete es mich nach Tschernobyl noch Mühe, die Angst zu bezähmen und meiner Verzweiflung Herr zu werden, so muß ich nun nach den Gefühlen graben, die in den unteren Schichten meiner Psyche längst ein Eigenleben führen, wie alte Bekannte.

Selbst meine drei Monate alte Tochter, die selig an ihrer Faust saugend die hilflosen Ausführungen Umweltminister Töpfers im WDR an sich vorbeirauschen läßt, bringt mich nicht zum Weinen. Ich weiß wohl und seit langem, daß ich demnächst dem urmenschlichen Sehnen ihres Kinderkörpers nach Sonne einen Riegel vorschieben muß.

März 1992

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