Ausgabe Dezember 1993

Grenzerfahrungen

"Seid froh, daß ihr nicht hier seid, es ist nicht gut hier", umschreibt ein Insasse des "Berliner Abschiebungsgewahrsams" in der Kruppstraße die Bedingungen für die hier einsitzenden "Abschieber", wie sie im Polizeijargon heißen. Menschen unterschiedlicher Nationalität liegen Tag für Tag in als "Verwahrräume" verbrämten Zellen; vor den vergitterten Fenstern befindet sich eine weitere Gitterwand in einem Meter Abstand. Die Aufenthaltsräume sind ebenfalls mit mehreren Gitterwänden unterteilt, hinter zwei Gittern steht der TV-Apparat, die einzige aktuelle Informationsquelle für die derzeit rund 130 dort auf ihre Abschiebung wartenden Menschen.

Der Aufenthalt in der Kruppstraße dauert zwischen einer Woche und mehreren Monaten. Ein knappes Dutzend Menschen befindet sich seit mehr als 200 Tagen in Abschiebehaft. Bei ihnen handelt es sich um Flüchtlinge, die nach einem abgelehnten Asylantrag einen Folgeantrag gestellt haben - keine Straftäter. Die Häftlinge dürfen Besuch empfangen, 15-30 Minuten lang pro Tag in einem Verschlag, getrennt vom Besucher durch eine Glasscheibe - aus "Sicherheitsgründen", erfreut sich der Berliner Abschiebeknast doch seines Rufs als "drogenfrei".

Dezember 1993

Sie haben etwa 11% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 89% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Verbrecherische Komplizen: Libyen und die EU

von Sigrun Matthiesen, Allison West

Es war ein Tiefpunkt in der Geschichte der Seenotrettung: 20 Minuten lang beschoss am 24. August ein Patrouillenboot der libyschen Küstenwache die Ocean Viking, ein Rettungsschiff der Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée.

Von Milošević zu Trump: Die bosnische Tragödie und der Verrat an den Bürgerrechten

von Sead Husic

Es herrschte keine Freude bei der bosnisch-herzegowinischen Regierungsdelegation am 22. November 1995 auf dem Wright-Patterson-Luftwaffenstützpunkt in Dayton. Eben hatte sie dem Friedensabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die noch aus Serbien und Montenegro bestand, und Kroatien zugestimmt, doch sie fühlte sich betrogen.