Karlsruhe orakelte schon wieder, diesmal allerdings über mehr als einfache Menschenrechte wie z.B. das (nicht gewährte) Recht deutscher Frauen, frei über den eigenen Körper zu entscheiden. Nein, am 12. Oktober 1993 ging es um die in letzter Instanz des deutschen Rechtsstaats ausführlich begründeten Richtlinien für die Gestaltung der politischen Zukunft Europas. Das Theatralische an dem „Ja, aber"-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Maastricht-Vertrag wurde neben allen ehrfurchtgebietenden Ritualen - erhabene Eminenzen in roten Roben auf erhöhter Bühne - dadurch verstärkt, daß es das letzte von mehreren nationalstaatlich bedingten Hindernissen beseitigte, die der Ratifizierung des Vertrags in den Weg gelegt worden waren; es gab zwei Referenden in Dänemark, eins in Frankreich und ein taktisch verschobenes parlamentarisches Verfahren in London. Das oberste deutsche Verfassungsgericht, Sinnbild der Gründlichkeit und oft von verfassungslosen Republikanern in Großbritannien mit Neid betrachtet, öffnet den Völkern der EG die letzte Pforte zur heiß ersehnten gemeinschaftlichen Zukunft.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.