Karlsruhe orakelte schon wieder, diesmal allerdings über mehr als einfache Menschenrechte wie z.B. das (nicht gewährte) Recht deutscher Frauen, frei über den eigenen Körper zu entscheiden. Nein, am 12. Oktober 1993 ging es um die in letzter Instanz des deutschen Rechtsstaats ausführlich begründeten Richtlinien für die Gestaltung der politischen Zukunft Europas. Das Theatralische an dem „Ja, aber"-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Maastricht-Vertrag wurde neben allen ehrfurchtgebietenden Ritualen - erhabene Eminenzen in roten Roben auf erhöhter Bühne - dadurch verstärkt, daß es das letzte von mehreren nationalstaatlich bedingten Hindernissen beseitigte, die der Ratifizierung des Vertrags in den Weg gelegt worden waren; es gab zwei Referenden in Dänemark, eins in Frankreich und ein taktisch verschobenes parlamentarisches Verfahren in London. Das oberste deutsche Verfassungsgericht, Sinnbild der Gründlichkeit und oft von verfassungslosen Republikanern in Großbritannien mit Neid betrachtet, öffnet den Völkern der EG die letzte Pforte zur heiß ersehnten gemeinschaftlichen Zukunft.
In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn.