Eigentlich schlechte Zeiten für Konservative - die Champions unter den Besitzstandswahrern -, wenn alles anders werden muß (und sei es, damit alles beim alten bleibt). Am Pranger steht über Nacht, wessen der Wohlstandsbürger sich so lange in aller Unschuld freuen durfte: Das Haben- und Mehrhabenwollen, das Besitzstandsdenken eben, die einst erfolgreiche CDU-Wahlkampfparole "Keine Experimente", vertraute Gewohnheiten, mehr oder weniger wohlerworbene Rechte und Ansprüche - lauter "Werte", die in der alten Bundesrepublik immer wieder Konservativen und Liberalen die Wähler zutrieben (Erhard: "Wohlstand für alle") und für die Adenauers Enkel plötzlich nur noch Hohn und Spott übrig haben... Standortdebatte heißt das erstaunliche Schauspiel. Der Berg hat gekreißt. Monatelang vorangekündigt, nach Versuchsballons, Vorentwürfen, die eilig wieder kassiert wurden, amtlicher Heimlichtuerei liegt die Maus auf dem Tisch: der "Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland", 110 Seiten, vorgelegt von Wirtschaftsminister Rexrodt am 2. September (im folgenden zitiert: Rexrodt). Worum es im Kern geht, steht allerdings präziser in der Vorlage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V., dem einen Monat zuvor veröffentlichten Papier "Produktionsstandort Deutschland" (Köln, August 1993, 52 Seiten).
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.