Ausgabe September 1993

Einbürgerung und doppelte Staatsangehörigkeit: Offener Brief für einen Gruppenantrag aller Parteien (Wortlaut)

Sehr geehrte Damen und Herren,

die deutsche Staatsangehörigkeit steht nach deutschem Recht nur denen zu, die Deutsche nach der Abstammung sind, das heißt: Recht durch das Blut (jus sanguinis). Die Einbürgerung ist in der Bundesrepublik dem Ermessen der Einbürgerungsbehörde unterworfen.

Daher ist eine Neufassung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts notwendig. Wir unterstützen die Forderung von Frau Schmalz-Jacobsen, AusländerInnen möglichst bald zu InländerInnen zu machen und ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft anzubieten. Danach müssen die Kinder von EinwanderInnen, die in der Bundesrepublik geboren sind, sowie die EinwanderInnen, die ihren Lebensmittelpunkt in die Bundesrepublik verlegt haben, Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Wir sagen Ja zur doppelten Staatsbürgerschaft. Wir sagen Ja zu "jus soli". Wir sagen Nein zu "jus sanguinis".

Es gibt seit Jahren Vorschläge von der SPD, FDP, einigen CDU-Politikern und Bündnis 90/Die Grünen, die eine erleichterte Einbürgerung fordern. Wir, die EinwanderInnen, Flüchtlinge, InländerInnen ohne deutschen Paß und Deutsche mit ausländischer Herkunft fordern alle Abgeordneten des Bundestages auf, auf der Basis der Gesetzesinitiative der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Frau Schmalz-Jacobsen, einen Gruppenantrag in den Bundestag einzubringen.

Es ist keine Zeit politische Differenzen und Streitigkeiten auf dem Rücken der Einwanderer und Flüchtlinge auszutragen, wenn es um die Verbesserung der Situation von Millionen von Menschen und die Verteidigung der Menschenrechte geht. Wir bitten Sie alle, unsere Forderung für die Einbringung eines Gruppenantrags in den Deutschen Bundestag zu realisieren und in die Tat umzusetzen.

ErstunterzeichnerInnen:
Bahman Nirumand, Sanem Kleff, Ozan Ceyhun, Miguel Vicente, Safter Cinar, Mehdi Jafan-Gorzini, Cem Özdemir, Kambiz Ghawami, Ersin Ugursal, Sinasi Dikmen, Muhsin Onurca, Murat Cakir, Ataolah Amin, Nedim Sonemez, Füsun Holder, Müjgan Akbulut, Özlem Isfendiyar, Ismail Kahraman, Hariss Kidwii, Gergorio Ropper, Seyed Shahram Iranhony, Asgar Eslami, Süheyla Kadioglu, Bilgin Ayata, Hüseyin Sitki, Cuma Yagmur, Aynur Uysal, Sükrü Turan, Nurhar Can, Murat Barut, Idik Lacin, Senim Aydun, Ibrahim Topal, Halim Demiri, Ziya Tunc, Kenan Demir, Seydo Uzun, Halit Naeale, Kazim Aydin, Jlker Aydin, Myrut Keskin, Ali-Asker Erman, Semika Erman, Jsmail Hakki Kosan, Kambiz Behbahanizadeh, Hakimeh Khedmatguzar, Haydar Dincer, Giyasettin Sayan, Manocher Tahen, Fann Fakhhan, Akbar Weissi, Pari Dastmalchi, San Yeganeh, Mohsen Khosrawi, Manigeh Norouzian, Calkavur Dayar, Hakki Keskin, Mete Duyar, Gökten Kücük.
Kontakt: Mehdi Jafari-Gorzini, Südring 66, 55128 Mainz.

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