Ausgabe Oktober 1994

Demokratie als Entwicklungshemmnis?

Die neue chinesisch-russische Modellkonkurrenz

An erster Stelle druckten alle wichtigen Zeitungen Chinas Deng Xia Pings besorgte Kabinettsrede, daß die Reformen zur ernsthaften Gefahr für die soziale Stabilität werden könnten. Dabei hat er seit fünf Jahren als einziges Amt nur noch den Ehrenvorsitz des chinesischen Bridge-Vereins inne, sei kaum noch sprechfähig und nur vermittels seiner lippenlesenden Töchter mit der Welt in Kontakt. Bei bester Gesundheit, so wird berichtet, habe er die Schwelle zum 10. Lebensjahrzehnt Überschritten und freue sich darauf, 1997 das vom Kolonialjoch befreite Hongkong zu besuchen, wobei den demnächst Befreiten schon die Panik im Nacken sitzt.

Doch unbestreitbar hat er Rotchina an die Spitze der weltwirtschaftlichen Wachstumsskala katapultiert. Die Chefs der multinationalen Konzerne stehen Schlange für Termine in Peking. Für Helmut Schmidt finden Deng Xia Pings Reformen nur einen einzigen historischen Vergleich - die Öffnung Japans im letzten Jahrhundert durch den erleuchteten Meiji-Kaiser Mutsuhito. In solchen Würdigungen ist die große Absolution unausgesprochen enthalten. Als vor fünf Jahren die Demokratiebewegung von Panzern breitgewalzt wurde, hat Deng Sorge getragen, daß für dieses Blutbad in der öffentlichen Wahrnehmung der Name Li Pengs und nicht der seine einsteht. Ihm selbst hat die Welt längst verziehen.

Oktober 1994

Sie haben etwa 9% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 91% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Euphorie und Ernüchterung: Bangladesch nach dem Aufstand

von Natalie Mayroth, Dil Afrose Jahan

Im September fanden an der Universität Dhaka, einer der wichtigsten Hochschulen Bangladeschs, Wahlen zur Studentenvereinigung statt. Manche sehen sie als Testlauf für die nationalen Wahlen. Daher ist es ein Warnsignal, dass dort ausgerechnet der Studentenflügel der islamistischen Jamaat-e-Islami gewann.

Koloniale Nachwehen: Der Kampf um Kaschmir

von Amadeus Marzai

Ein brutaler Terroranschlag riss am Nachmittag des 22. April das idyllische Baisaran-Gebirgstal im von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs aus seiner Ruhe. Es war der Beginn einer rapiden Eskalation im seit jeher angespannten indisch-pakistanischen Verhältnis und könnte sogar zum Ausgangspunkt eines größeren Krieges zwischen den beiden Nuklearmächten werden.

Südkorea: Vom Putschversuch zur Richtungswahl

von Fabian Kretschmer

Es ist mehr als nur ein Klischee, dass die südkoreanische Demokratie zu den lebhaftesten in ganz Asien zählt. Seit der Wahlkampf Anfang Mai offiziell eingeläutet wurde, sind die gläsernen Fassaden der Bürotürme in der Hauptstadt Seoul mit riesigen Plakaten der Spitzenkandidaten zugepflastert.