Ausgabe Oktober 1995

Regionalisierung in Rußland

Die vergessene Dimension der Systemtransformation

Spontane Regionalisierung

Regionalisierungsprozesse wurden in Rußland vor allem durch die Kombination vier virulenter Faktoren ausgelöst: die Auflösung zentralistischer Leitungsagenturen, die paradoxen Wirkungen des sowjetischen Scheinföderalismus, ethnische Mobilisierung und ökonomische Vorteilserwartungen. Mit der Auflösung der zentralstaatlichen Instrumente der Wirtschaftssteuerung nach dem gescheiterten Augustputsch 1991 und den Preisfreigaben ab Januar 1992 gingen die zwischenregionalen Beziehungen dramatisch zurück. Die Regionen, die politisch-administrativ und wirtschaftlich über ein System der doppelten vertikalen Hierarchie (Staat und Partei) gesteuert waren, wurden auf ihre eigenen Handlungskompetenzen zurückverwiesen. Während der politisch motivierten Destruktion der Institutionen sowjetischer Zentralmacht zeigte sich bald, daß für den angestrebten Ordnungs- und Eigentumswandel noch keine neuen Institutionen zur erfolgreichen Durchdringung der Regionen zur Verfügung standen. Die Regionen sahen sich so vielfach gezwungen, für ihre akuten sozialen und wirtschaftlichen Probleme eigenständig Auswege aufzutun.

Oktober 1995

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