Deutsche Angststarre
Nach dem von Donald Trump verkündeten Rückzug amerikanischer Truppen aus Syrien marschierten am 9. Oktober 2019 türkische und von ihnen kontrollierte islamistische Truppen in den Nordosten des Landes ein.
Andreas Heinemann-Grder, geb. 1957 in Potsdam, Dr. phil. habil., Honorarprofessor für Politikwissenschaften an der Universität Bonn.
Im Folgenden finden Sie sämtliche »Blätter«-Beiträge von Andreas Heinemann-Grüder.
Nach dem von Donald Trump verkündeten Rückzug amerikanischer Truppen aus Syrien marschierten am 9. Oktober 2019 türkische und von ihnen kontrollierte islamistische Truppen in den Nordosten des Landes ein.
Russland und die Türkei sind im letzten Jahrzehnt zum definierenden Anderen für die deutsche Politik geworden. Die Regime in beiden Staaten stehen für die Abkehr von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und liberalen Werten, schließlich für aggressives Außenverhalten, einschließlich dessen, was als „Cyberwar“ bezeichnet wird.
Die Ukrainekrise markiert einen Epochenbruch in den internationalen Beziehungen. Keiner sah diesen kommen, und umso mehr benötigen wir nun eine Vorstellung von den Szenarien, auf die wir uns einzustellen haben.
Die Revolution in der Ukraine und die darauf folgende russische Revanche – die Einverleibung der Krim in die Russische Föderation wie die anhaltende Destabilisierung der Ostukraine – haben eine schwere Krise in den internationalen Beziehungen ausgelöst.
Von Brandt und Schmidt über Kohl bis Schröder: Deutsche Kanzler traten in aller Regel als verlässliche Fürsprecher russischer Befindlichkeiten und legitimer russischer Interessen auf.
Im November 2002 wird der Prager NATO-Gipfel über die nächste Erweiterung der Organisation entscheiden. Zehn Länder haben sich beworben, und alles sieht nach einem "Big Bang" aus. Vermutlich werden nur die instabilen Kandidaten Mazedonien und Albanien, möglicherweise auch Kroatien, das Nachsehen haben.
Gewaltsame Splittergruppen der UÇK setzen seit Oktober letzten Jahres den Kampf um ein Großalbanien fort, anfangs im serbischen Presevo-Tal, seit März dieses Jahres in albanisch besiedelten Teilen Mazedoniens. Vor zwei Jahren galt die UÇK als Widerstandsund Freiheitsbewegung gegen einen serbischen „Genozid“.
Seit der Auflösung der Sowjetunion sucht Russland nach Selbstbildern, die Gegenwart und Vergangenheit verknüpfen, das Bedürfnis nach Einzigartigkeit stillen und mobilisierende Ideen bereitstellen. Die meisten Beobachter stimmen darin überein, dass Russlands Suche nach einer Nationalidee ergebnislos ausging. Die Bewertung bleibt jedoch umstritten.
Nach den Zerfallsszenarien am Ende der Jelzin-Ära verkörpert Putin für den Westen ein Mehr an innerer Stabilität und äußerer Berechenbarkeit, selbst wenn die Demokratie darunter leidet und die weit gehende Nichteinmischung in innere Angelegenheiten - siehe Tschetschenien - die Kluft zu Europa vertieft.
Entstehende Nationalstaaten streben zuallererst nach Sicherung des äußeren und inneren Machtmonopols, sofern nicht stärkere Mächte sie daran hindern. Die Ukraine bietet dafür geradezu klassischen Anschauungsunterricht.
Die nachsowjetischen Republiken stöhnen unter der Übermilitarisierung als der wohl schwersten Erblast der Sowjetökonomie. Die Aufzählung der Konversionsgründe gleicht einem Schachmatt für die Rüstungsindustrie.
Himmelhoch jauchzend über das Ende des Putsches, zu Tode betrübt über den Zerfall der Sowjetunion - so die durchgängige Stimmungslage.