Ausgabe April 1996

Folklore und Toleranz

Die Happy-Ends im Fernsehen sind auch nicht mehr, was sie einmal waren. Auf dem Weg nach Hause beschließt das frisch vermählte Ehepaar (der Film hätte also schon zu Ende sein müssen), sich gleich wieder scheiden zu lassen. Die Idee zu heiraten war den beiden eigentlich nur so nebenbei auf dem Postamt gekommen, weil der Postbote die Päckchen nur dem Ehe-, aber nicht dem Liebespartner aushändigen wollte. Waltraut fragte Ritschi dann, ob er denn mit ihr zusammenbleiben wolle, bis sie alt seien, ihm kam diese Frage wie eine rhetorische vor, und dann gab eines das andere, nämlich den Heiratsantrag, die einzig logische Antwort auf die Frage "Warum nicht?"

Waltrauts Eltern in der bayrischen Provinz wollen natürlich eine richtige Hochzeit, und Ritschi willigt schließlich ein. Das deftige Fest gerät zum Alptraum, und alle wollen von ihm, daß er nun auch voll mitspielt: die dicke und dickköpfige Mutter, die zur Hochzeit nach München nicht gekommen wäre, und der Vater, Metzgermeister, der ein Schwein schlachtet, dessen Kopf vor Ritschi auf der Festtafel liegt. Da kommt er sich vor wie ein Schlachtopfer, mit dem die Eingeborenen einen rätselhaften, anachronistischen Ritus vollziehen, während dem armen Schwein der Kopf des geschlachteten Schweins zublinzelt.

April 1996

Sie haben etwa 29% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 71% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Immer jünger, immer rechter: Teenager mit Baseballschlägern

von David Begrich

Ihre Haare sind kurz, gescheitelt und streng gekämmt. Sie zeigen den White Power- oder gar den Hitlergruß. Ist der Aufschwung der rechtsextremen Jugendszene wirklich etwas Neues – oder nur eine Fortsetzung neonazistischer Gewalt?

Maskulin und libertär

von Stefan Matern, Sascha Ruppert-Karakas

Echte Männer sind rechts“ – das auf Social Media viral gegangene Video des AfD-Politikers Maximilian Krah ist mehr als nur ein lapidares Bekenntnis zu traditionellen Familien- und Geschlechterrollen. Es ist vielmehr der strategische Versuch, junge Menschen niedrigschwellig an AfD-Positionen heranzuführen. Im provokanten Politainmentstil bespielt die Partei auf den digitalen Plattformen unpolitisch anmutende Themen rund um die Probleme und persönlichen Unsicherheiten junger Männer.