Ausgabe April 1996

Folklore und Toleranz

Die Happy-Ends im Fernsehen sind auch nicht mehr, was sie einmal waren. Auf dem Weg nach Hause beschließt das frisch vermählte Ehepaar (der Film hätte also schon zu Ende sein müssen), sich gleich wieder scheiden zu lassen. Die Idee zu heiraten war den beiden eigentlich nur so nebenbei auf dem Postamt gekommen, weil der Postbote die Päckchen nur dem Ehe-, aber nicht dem Liebespartner aushändigen wollte. Waltraut fragte Ritschi dann, ob er denn mit ihr zusammenbleiben wolle, bis sie alt seien, ihm kam diese Frage wie eine rhetorische vor, und dann gab eines das andere, nämlich den Heiratsantrag, die einzig logische Antwort auf die Frage "Warum nicht?"

Waltrauts Eltern in der bayrischen Provinz wollen natürlich eine richtige Hochzeit, und Ritschi willigt schließlich ein. Das deftige Fest gerät zum Alptraum, und alle wollen von ihm, daß er nun auch voll mitspielt: die dicke und dickköpfige Mutter, die zur Hochzeit nach München nicht gekommen wäre, und der Vater, Metzgermeister, der ein Schwein schlachtet, dessen Kopf vor Ritschi auf der Festtafel liegt. Da kommt er sich vor wie ein Schlachtopfer, mit dem die Eingeborenen einen rätselhaften, anachronistischen Ritus vollziehen, während dem armen Schwein der Kopf des geschlachteten Schweins zublinzelt.

April 1996

Sie haben etwa 29% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 71% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Immer jünger, immer rechter: Teenager mit Baseballschlägern

von David Begrich

Ihre Haare sind kurz, gescheitelt und streng gekämmt. Sie zeigen den White Power- oder gar den Hitlergruß. Ist der Aufschwung der rechtsextremen Jugendszene wirklich etwas Neues – oder nur eine Fortsetzung neonazistischer Gewalt?

Maskulin und libertär

von Stefan Matern, Sascha Ruppert-Karakas

Echte Männer sind rechts“ – das auf Social Media viral gegangene Video des AfD-Politikers Maximilian Krah ist mehr als nur ein lapidares Bekenntnis zu traditionellen Familien- und Geschlechterrollen. Es ist vielmehr der strategische Versuch, junge Menschen niedrigschwellig an AfD-Positionen heranzuführen. Im provokanten Politainmentstil bespielt die Partei auf den digitalen Plattformen unpolitisch anmutende Themen rund um die Probleme und persönlichen Unsicherheiten junger Männer.