Selten dürfte sich ein französischer Präsident gründlicher verrechnet haben als Jacques Chirac. Seine Entscheidung, die Nationalversammlung vorzeitig aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen, sollte die - scheinbare - Gunst von Meinungsumfragen für die gemäßigte Rechte wahltaktisch ausnutzen; sie sollte ihm freie Hand für mögliche unpopuläre Haushaltsentscheidungen zur Vorbereitung der Europäischen Währungsunion geben. Der Spieler Chirac hat alles gesetzt und alles verloren 1): seine internationale Autorität ebenso wie die traumhafte Vierfünftelmehrheit der Rechten im Parlament, damit die zentrale Stütze seiner Präsidentenmacht und seinen Anspruch auf Führung der gemäßigten Rechten. Die Wahlkampagne der Rechten war gewiß von zahllosen taktischen Irrtümern geprägt: nach der ersten rein auf Wahlkalkülen beruhenden Parlamentsauflösung in der Geschichte der Fünften Republik trat sie ohne neues Programm und mit dem alten Premierminister an, der alle negativen Popularitätsrekorde seiner Vorgänger in den Schatten stellte, und der prompt nach dem ersten Wahlgang in einer Panikreaktion fallengelassen wurde.
Jenseits aller taktischen Fehler der abgewählten Mehrheit könnte man die überraschende Wende in Frankreich als eine dreifache Niederlage des politischen Zynismus bezeichnen.