Ausgabe September 1997

Inszenierung einer Systemkrise

 Mitten im Sommerloch weitet sich der Streit um Reformen zur "schwersten Systemkrise" der Bundesrepublik aus. 1) Während die vereinte Nation in Gestalt der Bundeswehr an der Oder ihre Bewährungsprobe besteht, diesmal das Land nicht gegen eine Rote Armee, auch nicht gegen eine Asylanten-, sondern gegen "die Jahrhundertflut" behauptend, da warnt am Rhein BDI-Chef Hans-Olaf Henkel vor der drohenden "Sintflut des beginnenden Wahlkampfs" 2) und fordert Schutzwälle für die "Reformer".

In der Tat, die "Bonner Republik" steht unter Wasser, und der Ruf nach der "Berliner Tat" wird laut. 3) Als Hans-Olaf Henkel mahnt, daß es bald an der Zeit sei, die Systemdebatte anzustoßen, da kommt sie anderntags schon voll in Gang. Fülle und Gehalt der Publikationen dieser Tage lassen wenig Zweifel: Die Krisendiskussion ist bestens vorbereitet wie verabredet wird auch noch eine Allensbach-Studie rechtzeitig fertig: noch nie hatten die Deutschen so wenig Vertrauen in ihr System 4) - vielleicht auch die Krise selbst? Inszeniert oder nicht, besser hätte eine Kampagne zur Systemveränderung ihrem krönenden Event nicht zusteuern können: dem absehbaren Scheitern der Verhandlungen im Vermittlungsausschuß.

September 1997

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.

Von Milošević zu Trump: Die bosnische Tragödie und der Verrat an den Bürgerrechten

von Sead Husic

Es herrschte keine Freude bei der bosnisch-herzegowinischen Regierungsdelegation am 22. November 1995 auf dem Wright-Patterson-Luftwaffenstützpunkt in Dayton. Eben hatte sie dem Friedensabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die noch aus Serbien und Montenegro bestand, und Kroatien zugestimmt, doch sie fühlte sich betrogen.