Schreiben der nordrhein-westfälischen Gerichtspräsidenten an Ministerpräsident Wolfgang Clement vom 25. Juni 1998 (Wortlaut)
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
die Zusammenlegung von Innen- und Justizressort stößt bei den Präsidentinnen und Präsidenten der ordentlichen Gerichtsbarkeit des Landes auf tiefes Unverständnis. Die hierfür bekanntgewordenen Gründe überzeugen nicht. Die Vereinigung wird von der Richterschaft eindeutig abgelehnt. Die bisher bekanntgewordenen Effizienzerwägungen mißachten aus unserer Sicht die historisch gewachsene, im demokratischen Rechtsstaat bewährte Repräsentation von Rechtspflege und Verwaltung in getrennten Ressorts. Uns erscheint unerläßlich, daß Rechtsprechung, Rechtspflege und die beiden dienende Justizverwaltung als dritte Gewalt im Staate innerhalb der Regierung, vor dem Parlament und der Öffentlichkeit durch ein eigenständiges Ministerium repräsentiert und verantwortet werden. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in unseren Rechtsstaat beruht entscheidend auf der Überzeugung von der Unabhängigkeit der Gerichte und ihrer Richter. Die Wahrung und Festigung des Vertrauens und des hiervon abhängigen Ansehens erfordern eine klare Abgrenzung der Gerichte von der vollziehenden Gewalt. Dies muß sich auch unmißverständlich in der Organisation der obersten Entscheidungsebene niederschlagen.
Wir sind uns bewußt, daß der Zuschnitt der Landesregierung allein vom Ministerpräsidenten verantwortet wird. Wir sind aber betroffen darüber, daß die vertrauens- und schutzwürdige Justiz dem schwerwiegenden Verdacht ausgesetzt wird, ausschließlich politisch orientierten und damit sachfremden Einflüssen unterworfen zu werden. Der hierdurch drohende Vertrauensverlust wird der Justiz irreparablen Schaden zufügen. Die für uns alle beschämende Abhängigkeit der Rechtsprechung von politischer Opportunität liegt in unserem Lande nur wenige Jahrzehnte zurück. Sie ist erst vor kurzem in den neuen Bundesländern beseitigt worden; das hat dort maßgeblich zur Akzeptanz des Rechtsstaats beigetragen. Die Aufgabe der eigenständigen politischen Repräsentanz der Justiz stört das System der wechselseitigen Kontrolle der Gewalten. Der Stellenwert der Justiz wird erheblich gemindert, ihre Eingliederung gefährdet nicht nur das Vertrauen in die Unabhängigkeit, sondern widerspricht damit auch gewachsenem richterlichen Selbstverständnis. Wir hoffen, daß Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sich unseren Sorgen, die wir in diesem offenen Brief aus der Verpflichtung unserer Ämter vortragen, nicht verschließen werden.
Mit vorzüglicher Hochachtung
(folgen 23 Unterschriften - D. Red.)