Ausgabe Januar 1998

Mut zum Reichtum

"Eure Armut kotzt mich an!" Diesen Aufkleber habe ich vor einigen Tagen auf einem flotten Jeep in Bonn gesehen. Er zeigt die erstarkende Selbstachtung in der deutschen Leistungsträgerschaft und einen neuen Mut zur sozialen Differenzierung. Und ist diese Art von Selbstbewußtsein nicht genau das Genesungsferment, das unsere sieche, sozial überversicherte Gesellschaft so dringend braucht? "Um die Erfinder neuer Werte dreht sich die Welt" - so wiederholt es geradezu ostinat Friedrich Nietzsche schon im "Zarathustra", wo er einer christlichen Entsagungs- und Mitleidsmoral den Todesmarsch bläst. Bekennender Egoismus und Mut zum unverhohlen provokanten Reichtum - das sind diesmal offenbar Grundwert und Leitmotiv einer neuen Epoche. Schon ziemlich deprimiert haben mich all die Horrormeldungen über den Verfall des Wirtschaftsstandortes Deutschland und die Verarmung seiner Eliten, die vom erbarmungslosen Zugriff des Fiskus und der Sozialkassen kaum das Notwendigste über die luxemburgische und Schweizer Grenze haben retten können. "Unternehmensrenditen - zum Leben zu wenig!" - so übertitelte das Institut der Deutschen Wirtschaft im Juni seinen Report über das Elend in derselben ("iwd-Infommationsdienst", 5.6.1997).

Etwas Trost fand ich in der Autobeilage einer Tageszeitung.

Januar 1998

Sie haben etwa 7% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 93% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Flucht vor der Verantwortung: Lieferkettengesetze am Ende?

von Merle Groneweg

Der 11. September erinnert nicht nur an den Einsturz des World Trade Centers in New York, sondern auch an eine der schwersten Katastrophen in der Textilindustrie: den Brand in der Fabrik Ali Enterprises in Karatschi, Pakistan.

Ohne EU-Mindestlohn kein soziales Europa

von Roland Erne

Nach Jahren antisozialer Politik infolge der Finanzkrise von 2008 standen soziale Fragen in der vergangenen Legislatur der EU wieder weiter oben auf der Agenda. Zwischen 2022 und 2024 verabschiedeten das EU-Parlament und der Rat seit langem wieder mehrere soziale EU-Gesetze, darunter die Richtlinie über „angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union“.

Drei Millionen ohne Abschluss: Was tun?

von Maike Rademaker

Die Zahl war lediglich einen Tag lang einige Schlagzeilen wert: Rund 2,9 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren hierzulande haben keinen Berufsabschluss. Maike Rademaker analysiert Gründe und Lösungsansätze.