Ausgabe Juni 1998

Unverkürzte Demokratie, ungeteilter Frieden

Demokratie in Deutschland, gleich in welcher Epoche, ist immer ein schwieriges Unterfangen gewesen. Nicht allein die Niederlagen der Demokraten wiegen schwer, auch ihre Siege blieben problematisch, weil sie aus Niederlagen geboren wurden - zuletzt aus der bedingungslosen Kapitulation des 8. Mai 1945, aus der Befreiung von außen. Und noch eines kommt hinzu: Demokratie in Deutschland stand immer im Schatten des Krieges. Um militärischer Wunschträume, expansionistischer oder revisionistischer Ansprüche willen wurde sie aufs Spiel gesetzt, eingeschnürt oder vollends liquidiert. Die Demokratiegründung der Bundesrepublik beansprucht, nach der verheerenden Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und der NS-Diktatur einen Bruch mit dieser unseligen deutschen Tradition des Antidemokratismus und des Expansionismus vollzogen zu haben.

Zu der Orientierung an den europäischen Maximen eines bürgerlichen parlamentarischen Verfassungsstaates trat die Selbstverpflichtung des Gründungskonsenses dieser Republik, daß von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehen darf. Demokratie und Frieden, das sollten die Leitmotive der Bonner Republik sein. Wir alle wissen, daß diese beiden Ansprüche schon im Gründungsakt und in den folgenden Jahrzehnten verletzt, unterhöhlt und umgebogen wurden.

Juni 1998

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