Ausgabe März 1998

Lehrmeister Deutschland?

Italienische Perzeptionen

Italien erlebt die Zeit bis zum 2. Mai 1998 als eine Art kollektives Psychodrama. An jenem "schicksalhaften" Datum wird sich entscheiden, wer an der Startrunde des EURO teilnehmen darf. Das "bel paese" leidet seit längerem unter einem schweren Ausschlußsyndrom. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der italienische Geisteszustand heute radikal von jenem der "Vettern jenseits der Alpen". Die Ängste der Franzosen gehen in die genau entgegengesetzte Richtung: Sie fürchten einen Anschluß an den mächtigen Nachbarn auf der anderen Rheinseite. Dieser Alptraum ist nicht neu, er reicht bis in die Tage der verlorenen Schlacht von Sedan zurück - die Schreckvorstellung eines Karolingien unter vollständiger deutscher Hegemonie. Anders als Frankreich fürchtet Italien nicht für seine Sicherheit. Auch sehnt es sich nicht nach früherer grandeur. Hier haben wir es mit viel prosaischeren Selbstzweifeln zu tun.

Allerdings können diese so weit gehen, Italiens Ausschluß aus jenem Konzert der Nationen, das über die Zukunft Europas entscheidet, für eine realistische Hypothese zu halten. Man fürchtet sich vor dem diplomatischen A b s t i e g, dem Rückzug in eine Art geopolitischer zweiter Liga. Die Angst, sich außerhalb des mainstream wiederzufinden, der zu dem künftigen vereinten Europa führt, wirkt geradezu obsessiv.

März 1998

Sie haben etwa 7% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 93% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Flucht vor der Verantwortung: Lieferkettengesetze am Ende?

von Merle Groneweg

Der 11. September erinnert nicht nur an den Einsturz des World Trade Centers in New York, sondern auch an eine der schwersten Katastrophen in der Textilindustrie: den Brand in der Fabrik Ali Enterprises in Karatschi, Pakistan.

Ohne EU-Mindestlohn kein soziales Europa

von Roland Erne

Nach Jahren antisozialer Politik infolge der Finanzkrise von 2008 standen soziale Fragen in der vergangenen Legislatur der EU wieder weiter oben auf der Agenda. Zwischen 2022 und 2024 verabschiedeten das EU-Parlament und der Rat seit langem wieder mehrere soziale EU-Gesetze, darunter die Richtlinie über „angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union“.

Drei Millionen ohne Abschluss: Was tun?

von Maike Rademaker

Die Zahl war lediglich einen Tag lang einige Schlagzeilen wert: Rund 2,9 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren hierzulande haben keinen Berufsabschluss. Maike Rademaker analysiert Gründe und Lösungsansätze.