Italienische Perzeptionen
Italien erlebt die Zeit bis zum 2. Mai 1998 als eine Art kollektives Psychodrama. An jenem "schicksalhaften" Datum wird sich entscheiden, wer an der Startrunde des EURO teilnehmen darf. Das "bel paese" leidet seit längerem unter einem schweren Ausschlußsyndrom. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der italienische Geisteszustand heute radikal von jenem der "Vettern jenseits der Alpen". Die Ängste der Franzosen gehen in die genau entgegengesetzte Richtung: Sie fürchten einen Anschluß an den mächtigen Nachbarn auf der anderen Rheinseite. Dieser Alptraum ist nicht neu, er reicht bis in die Tage der verlorenen Schlacht von Sedan zurück - die Schreckvorstellung eines Karolingien unter vollständiger deutscher Hegemonie. Anders als Frankreich fürchtet Italien nicht für seine Sicherheit. Auch sehnt es sich nicht nach früherer grandeur. Hier haben wir es mit viel prosaischeren Selbstzweifeln zu tun.
Allerdings können diese so weit gehen, Italiens Ausschluß aus jenem Konzert der Nationen, das über die Zukunft Europas entscheidet, für eine realistische Hypothese zu halten. Man fürchtet sich vor dem diplomatischen A b s t i e g, dem Rückzug in eine Art geopolitischer zweiter Liga. Die Angst, sich außerhalb des mainstream wiederzufinden, der zu dem künftigen vereinten Europa führt, wirkt geradezu obsessiv.