Ausgabe Dezember 1999

Markt und Gerechtigkeit

Über die Zukunft der sozialen Demokratie

"Die Vorstellung, daß wir ohne weiteres die gesamtwirtschaftliche Nachfrage vernachlässigen können, ist grundlegend für die ricardianische Ökonomie, die wiederum dem zugrunde liegt, was uns für mehr als ein Jahrhundert gelehrt worden ist. Malthus hatte in der Tat Ricardos Doktrin, daß die effektive Nachfrage niemals unzureichend sein könne, heftig widersprochen, doch es war vergeblich... Ricardo eroberte England so vollständig wie die heilige Inquisition Spanien. Nicht nur, daß seine Theorie von Wirtschaft und Banken, von der Politik und der akademischen Welt akzeptiert wurde. Nein, es gab keine Kontroversen mehr; die andere Sichtweise verschwand vollständig; sie wurde nicht einmal mehr diskutiert... Die Vollständigkeit des Sieges der ricardianischen Lehre ist kurios und mysteriös zugleich. Dies war offenbar die Folge einer Reihe von Bedingungen, die diese Doktrin für das Umfeld geeignet machten, in das sie projiziert wurde... Daß ihre Lehren, in die Praxis umgesetzt, streng und oftmals ungenießbar waren, gab ihr Tugend. Daß sie soziale Ungerechtigkeit und offensichtliche Grausamkeiten zu unabwendbaren Begleiterscheinungen des Fortschritts erklärte, und daß jeder Versuch, diese Dinge zu ändern, als insgesamt eher schädlich denn nützlich angesehen wurde, verlieh ihr Autorität.

Dezember 1999

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