Das Fernsehen hat uns angeblich aufgeklärt. Weil wir von überallher Bilder zusammenraffen, sollen wir der Wahrheit näher sein und das soll uns dabei helfen, andere Völker zu befreien. Jetzt explodieren also wieder einmal Bomben am anderen Ende der Welt, füllen die Videobänder des Pentagon die Mattscheibe, werden die Ziele der Bomben in Zeitlupe und mit Sofortwiederholung bei der Explosion verfolgt; die gequälten Gesichter von Flüchtlingen sind mit Staub bedeckt und tränenüberströmt, der Feind verkündet den Bombardierungen zum Trotz seinen Widerstand, das Fernsehen überschüttet uns ständig mit weiteren Beweisen der Barbarei, die erbitterten Gesichter der Geiseln starren uns an, und wir sind ebensowenig aufgeklärt, klarsichtig, hilfreich wie zuvor. Das beständigste Medienklischee leitet sich von Marshall McLuhan her, der vor mehr als dreißig Jahren schrieb, daß Fernsehen zwangsläufig die Welt vereinen müsse. Dank der Geschwindigkeit, mit der sich die Bilder bewegten, würden wir "mythisch und ganzheitlich leben", befreit von Grenzen und Provinzialismus, denn, so McLuhan, "Elektrische Schaltungen haben die Diktatur von 'Raum' und 'Zeit' gestürzt und übergießen uns unablässig mit den Angelegenheiten aller anderen Menschen...
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.