Ausgabe Oktober 1999

Heutzutage ist es fast schon links, überhaupt Politik zu betreiben

Ein "Blätter"-Gespräch mit Micha Brumlik

"Blätter": Ihr letzter "Blätter"-Kommentar (Ernstfall Grün, Heft 6/1999) schloß mit zwei provozierenden Thesen: 1. Linke Politik sei in der Bundesrepublik bis auf weiteres nicht möglich. 2. Alle, die am Prinzip linker Politik interessiert seien, hätten jetzt viel von einer sonst knappen Ressource, nämlich Zeit, und täten gut daran, die "gewiß veränderungsbedürftigen" Verhältnisse zunächst einmal besser zu verstehen. Zwei Eingangsfragen: 1. Warum ist linke Politik nicht, nicht mehr oder noch nicht möglich? 2. Ist es möglicherweise Politik überhaupt - nicht nur linke - die nicht mehr stattfindet, jedenfalls nicht im klassischen Sinne?

Micha Brumlik: Es wird ja nun von vielen Politikwissenschaftlern erwogen, daß eine klassische innerstaatliche Form von Politik, die auf der Basis eines demokratisch legitimierten Mehrheitswillens effektiv bindende Entscheidungen in Form von Gesetzen durchsetzt, nicht mehr möglich ist. Die Begründungen sind unterschiedlich. Einmal, daß die Elemente und Kräfte, die man durch politisches Handeln und kollektiv bindende Entscheidungen beeinflußen will, sich nicht mehr binden lassen, namentlich, wie es immer heißt, die Wirtschaft im Zeitalter der Globalisierung. Zum anderen meinen wir durch die politische Soziologie zu wissen, daß das politische System vor allem sich selbst bewegt.

Oktober 1999

Sie haben etwa 3% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 97% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema Arbeit

Flucht vor der Verantwortung: Lieferkettengesetze am Ende?

von Merle Groneweg

Der 11. September erinnert nicht nur an den Einsturz des World Trade Centers in New York, sondern auch an eine der schwersten Katastrophen in der Textilindustrie: den Brand in der Fabrik Ali Enterprises in Karatschi, Pakistan.

Ohne EU-Mindestlohn kein soziales Europa

von Roland Erne

Nach Jahren antisozialer Politik infolge der Finanzkrise von 2008 standen soziale Fragen in der vergangenen Legislatur der EU wieder weiter oben auf der Agenda. Zwischen 2022 und 2024 verabschiedeten das EU-Parlament und der Rat seit langem wieder mehrere soziale EU-Gesetze, darunter die Richtlinie über „angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union“.

Drei Millionen ohne Abschluss: Was tun?

von Maike Rademaker

Die Zahl war lediglich einen Tag lang einige Schlagzeilen wert: Rund 2,9 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren hierzulande haben keinen Berufsabschluss. Maike Rademaker analysiert Gründe und Lösungsansätze.