Ausgabe April 2000

Großer Bruder, kleine Brüder

Das Leben von normalen Menschen sei "viel interessanter als das von Schauspielern", behauptet der Redakteur des Senders RTL2 und meint natürlich das von Schauspielern simulierte Leben in Fernsehspielen und -serien. In Big Brother, der neuen "Fernseh-Sensation", werden zehn Leute in einer Containerwohnung isoliert gehalten und Tag und Nacht von unsichtbaren oder sichtbaren Kameras gefilmt. Jede Woche muß einer oder eine das Haus verlassen, wer, das bestimmt die Gruppe selbst in heimlichen "Nominierungen", bestätigt durch ein angeschlossenes Zuschauer-Votum. Abgeschnitten sind sie überdies von jeglicher Kommunikation nach außen (außer zur Redaktion des Senders): kein Telefon, kein Fernsehen.

Aber die freiwillig Eingeschlossenen unterwerfen sich nicht der Kontrolle durch eine diktatorische Herrschaft, wie in Orwells Roman 1984, aus dem der Name der Sendung stammt. Sie offenbaren ihr Leben bis zu intimen Situationen einer marktähnlichen Medien-Öffentlichkeit vielmehr mit der Hoffnung auf eine Chance, ins Showgeschäft einzusteigen. Insofern erinnert die Versuchsanordnung an Auswahlmethoden bei Bewerbungen, durch die ermittelt werden soll, ob auch die richtige Einstellung, der Wille zur "Herausforderung" vorhanden ist, was als Voraussetzung gilt für den Erfolg auf dem überfüllten Markt der Sonnenseiten-Lebensläufe.

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Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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