Ausgabe August 2001

Geteilte Vergangenheit

Ein Elefant vergisst nichts und niemals. Von dieser bemerkenwerten und gefürchteten Eigenart werden Auftritt und Motivation geprägt sein, wenn sich der Altkanzler Helmut Kohl in den kommenden Wahlkampf um das Berliner Stadtparlament stürzt. Seinen eigenen Leuten wird er den von ihm empfundenen Mangel an Treue und Gehorsam heimzahlen. Den Sozen, wie er Schröders Partei nennt, den Verlust der Kanzlerschaft. Dem undankbaren und vergesslichen Volk aber wird er sich als der Einheitskanzler in Erinnerung bringen, der niemals Verfassungsverrat an der Präambel des Grundgesetzes begangen hat (wohl aber an Artikel 146 GG, der die Abstimmung des vereinigten Volkes verlangt. Kohl zog den Taschenspielertrick des Beitritts zum Bonner Grundgesetz vor).

Der Wahlkampf des Schwarzgeld-Jongleurs führt zurück in die Schützengräben des Kalten Krieges. Also in die heile Welt der Adenauer-Republik, deren raison d'être eine Mischung aus krudem Antikommunismus und Angst vor der von Hitler-Deutschland zerstörten Sowjetunion war. Schon taucht Peter Hintze, der Feldkaplan des Altkanzlers, in den politisierenden Talkshows auf, der als Generalsekretär der Union die Rote-Socken-Kampagne inszenierte. Ein unvergessener Beitrag zur gerne zitierten politischen Kultur der Bundesrepublik. Auch der Historiker Helmut Kohl bedient sich jetzt der Requisite.

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Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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