Beim Anflug auf Caracas, wo uns ein Erdöl-Seminar erwartete, sinnierten wir über das sperrige Kernthema der Beziehung USA-Lateinamerika: Ein Land der südlichen Hemisphäre nimmt Washington nur im Fall einer Krise wahr. Was eine Krise ausmacht, definierten State Department und Pentagon. Nicht was objektiv in einem lateinamerikanischen Land vorgeht, sondern was die Perzeption aus Washington ausmacht, entscheidet. Derzeit liefert Venezuela den Testfall dafür. Der südamerikanische Erdölstaat wird heute vom formaldemokratisch gewählten Fallschirmjäger-Oberst Hugo Chávez regiert. Auf den unkonventionellen Staatschef schossen sich in den vergangenen Monaten die Leitartikler der führenden US-Gazetten ein. "Is Chávez picking a fight?", fragte der Miami Herald, während die Washington Post gleich auf "A Venezuelan Castro" titelte.
Tad Szulc, Autor einer gründlichen Biographie über Fidel Castro, legte die Latte, sobald der Sieg von George W. Bush schließlich doch feststand, in der International Herald Tribune endgültig hoch: "Castro, Saddam and Chávez pose challenge to Bush". Auf Venezuela dürften also, im Sinne des chinesischen Fluches, interessante Zeiten warten. Entsprechend heftig blitzt es aus Caracas zurück.