Ausgabe November 2025

Greenwashing in Amazonien: COP30 und die Bioökonomie

Protest gegen die COP30 in Pará, Brasilien, 23.7.2025 (IMAGO / Fotoarena)

Bild: Protest gegen die COP30 in Pará, Brasilien, 23.7.2025 (IMAGO / Fotoarena)

Wenn vom 10. bis 21. November in Brasilien der diesjährige UN-Klimagipfel, die COP30, stattfindet, wird der Tagungsort Belém für einen kurzen Moment in den Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit rücken. Die Hauptstadt des Bundesstaates Pará mit 2,5 Millionen Einwohnern liegt im nördlichen Amazonasgebiet Brasiliens. Die Auswirkungen des Klimawandels sind hier deutlich zu spüren: Die Regenzeiten werden kürzer, die Dürreperioden länger und die Hitze unerträglich. Der November zählt hier zu den heißesten Monaten des Jahres mit Temperaturen zwischen 32 und 34 Grad Celsius. Verlässt man das Haus, fühlt es sich mitunter so an, als würde man in heißen Dampf eintreten – mormaço wird dieser hier genannt. Doch der Standort des diesjährigen Klimagipfels ist noch in anderer Hinsicht bedeutsam: Pará beherbergt nach dem Bundesstaat Amazonas das zweitgrößte Regenwaldgebiet Brasiliens, ist aber führend bei dessen Abholzung. Zwischen 1988 und 2024 verlor Pará mehr Wald als jeder andere Bundesstaat im Amazonasgebiet – insgesamt 35 Prozent seiner Fläche.

Die brasilianische Regierung fördert deshalb die sogenannte Bioökonomie als vermeintlichen Motor für eine nachhaltige Entwicklung. Mit dem Begriff werden Produkte und Dienstleistungen aus biologischen Ressourcen bezeichnet, von Zellstoff und Nutzpflanzen bis hin zu Ölsaaten. Insbesondere die Industriestaaten trieben die Bioökonomie bereits in den 2000er Jahren als Konzept für grünes Wachstum voran. 2012 veröffentlichte die EU-Kommission etwa die Strategie „Innovation für nachhaltiges Wachstum: eine Bioökonomie für Europa“. Seitdem dominiert das marktorientierte Konzept die Umweltdebatten innerhalb der Vereinten Nationen. Internationale Geber wie Deutschland sowie multinationale philanthropische Stiftungen fördern die Bioökonomie im Globalen Süden, vor allem in Tropenwäldern, die angesichts ihrer Artenvielfalt und großer Anbauflächen für die globale Finanzwelt von Interesse sind.[1] Regierungen weltweit integrieren diese Agenda daher zunehmend in ihre Politik. Brasilien und Pará wollen die anstehende COP30 nutzen, um der Welt das Potenzial der Bioökonomie des Amazonasgebiets zu präsentieren. Doch ist das Konzept wirklich ein Versprechen für mehr Nachhaltigkeit oder nur eine neue Form von Greenwashing für die Agrarwirtschaft?

Während die Regierung des früheren Präsidenten Jair Bolsonaro zwischen 2018 und 2022 Maßnahmen zum Umweltschutz, Pläne für eine Landreform und die Ausweisung indigener Gebiete zum Erliegen brachte und das Agrobusiness sowie den Bergbau in Amazonien förderte, hat die nunmehr dritte Regierung von Luis Ignacio „Lula“ da Silva und seiner Arbeiterpartei PT die Entwaldung im Amazonasgebiet wieder drastisch zurückgefahren, indigene Rechte und die Repräsentation indigener Gruppen innerhalb der Regierung gestärkt und auch international eine Vorreiterrolle in der Klimapolitik eingenommen. Allerdings sieht sich die Regierung einer mächtigen Agrarfraktion im Kongress gegenüber, die rigoros gegen Umweltgesetze vorgeht und deren Verwässerung vorantreibt. Mit dem Projekt der Bioökonomie sucht die Lula-Regierung einen Kompromiss zwischen Umweltschutz und Agrarlobby und schlägt ein Wirtschaftsmodell vor, das alle Seiten zufriedenstellen soll. 

Bereits im vergangenen Oktober trafen sich die G20-Mitgliedsländer unter brasilianischem Vorsitz in Rio de Janeiro, um die Leitprinzipien der Bioökonomie festzulegen. Sie wird als nachhaltige Alternative zu fossilen Brennstoffen verstanden, basiert auf der Nutzung erneuerbarer biologischer Ressourcen und umfasst neben Bioenergie und Biokraftstoffen aus Ethanol auch Holzprodukte, Chemikalien aus nicht holzartigen Waldmaterialien und Waldprodukten sowie Arzneimittel aus Pflanzen. In Pará ist der Begriff zu einer Art allgegenwärtigem Mantra für grünes Business geworden. Regelmäßig versammeln sich Wirtschaftsführer, internationale NGOs und Regierungsvertreter in den Hotels von Belém, um für grüne Investitionen zu werben. 

In der weniger sichtbaren Realität fern der Stadt, in der Menschen in Armut und mit unzureichender öffentlicher Daseinsvorsorge leben, ist die abstrakte positive Vision dagegen wenig präsent – die konkreten Auswirkungen der Bioökonomie dagegen umso mehr: Die Açaí-Palme, einst ein regionales Grundnahrungsmittel und wichtige Einkommensquelle der lokalen Bevölkerung, wird hier mittlerweile in Monokulturen angebaut; ihre Beeren füllen weltweit Supermarktregale und sind für die Menschen in den Randgebieten der Städte von Pará unerschwinglich geworden. Zugleich treiben die Landesregierungen im Amazonasgebiet den Bergbau und die Agrarindustrie weiter voran – nunmehr unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit.

Wie schon zuvor die „nachhaltige Entwicklung” lebt auch der Begriff der Bioökonomie von Mehrdeutigkeit und politischer Unbestimmtheit. Der brasilianische Industrieverband Confederação Nacional da Indústria definiert Bioökonomie etwa als Innovation und Entwicklung in den Bereichen Biotechnologie, Pharmaindustrie, Landwirtschaft und Viehzucht.[2] Die zehn Grundsätze zur Bioökonomie der G20 betonen hingegen Inklusivität, Gerechtigkeit sowie Maßnahmen zur Klima- und Umweltsanierung, die an die lokalen Gegebenheiten angepasst sind und traditionelles und indigenes Wissen respektieren.[3] Die konkurrierenden Definitionen offenbaren die Dehnbarkeit des Konzepts und seine Anfälligkeit für die Vereinnahmung durch Unternehmen, getarnt als regionaler und nationaler sozioökologischer Konsens.

In Brasilien, wo die industrielle Landwirtschaft und Viehzucht Wirtschaft und Politik dominieren, ist die Bioökonomie untrennbar mit sozioökologischen und territorialen Konflikten verbunden. Biokraftstoffe werden beispielsweise hauptsächlich aus Zuckerrohr- und Maismonokulturen hergestellt, für die weiterhin Wälder abgeholzt, Wasserquellen erschöpft und verschmutzt, Ge­meinden vertrieben und Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Laut der brasilianischen Regierung, die sich auf Daten der Getulio Vargas Foundation (GVF) beruft, erwirtschaften jene Branchen, die zur Bioökonomie gezählt werden, mittlerweile über ein Viertel des brasilianischen BIP. Die Berechnung der GVF umfasst jedoch auch Viehzucht, Holzwirtschaft und den Stromsektor – und damit ökologisch eindeutig nichtnachhaltige Bereiche.[4]

Die Widersprüche der Bioökonomie: Agrar- und Umweltkonflikte in Pará

Doch für die brasilianische Regierung sind diese Widersprüche offenbar zweitrangig. Die Bioökonomie bildet eine der sechs Säulen ihres „Plans zur ökologischen Transformation”. Bereits 2024 rief die Regierung die „Brasilianische Investitionsplattform für Klima und ökologische Transformation“ ins Leben, ein Instrument zur Förderung öffentlich-privater Partnerschaften in den Bereichen Bioökonomie, naturbasierte Lösungen, Industrie und Energiewende. Das Projekt wird von Bloomberg Philanthropies, der Glasgow Finance Alliance for Net Zero und dem Green Climate Fund mit Investitionen unterstützt.[5] Die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Banco do Brasil förderten das Bioökonomieprogramm für den Amazonas bereits 2021 mit einer Anfangsfinanzierung von über 8,8 Mio. Euro.

Auch der Bundesstaat Pará hat als Gastgeber der COP30 einen eigenen Bioökonomie-Plan, den PlanBio, entwickelt, eine der ersten derartigen Initiativen auf Landesebene. Die Landesregierung verkauft diesen als Beweis dafür, „dass es möglich ist, Wirtschaftswachstum und soziale Inklusion mit Biodiversität als strategischem Verbündeten zu fördern”.[6] Doch was die Einbeziehung der Waldbewohner angeht, weist der Plan erhebliche Lücken auf.

In Pará, dem zweitgrößten Bundesstaat Brasiliens und zugleich einem der ärmsten, dringt die landwirtschaftliche Grenze immer tiefer in den Amazonasregenwald vor. 2024 betrug das durchschnittliche Monatseinkommen hier 1326 Real (etwa 208 Euro), verglichen mit 3276 Real (513 Euro) in der Hauptstadt Brasília.[7] Diese Ungleichheit verdeutlicht die Widersprüche, die die wirtschaftliche Entwicklung in den an den Regenwald angrenzenden Gebieten hervorbringt: Massive Rohstoffgewinnung, große Energie- und Infrastrukturprojekte sowie der Export von Rohstoffen wie Soja und Mineralien gehen einher mit Landkonflikten, ländlicher Armut und der Vertreibung indigener, Quilombola- und traditioneller Flussgemeinschaften.[8]

Trotzdem hat der Gouverneur Helder Barbalho, Sohn einer oligarchischen Politikerdynastie und bekannt als „König des Nordens“, wenig unternommen, um den illegalen Bergbau und die massive Abholzung sowie die damit verbundene Gewalt gegen Indigene und Umweltaktivisten einzudämmen. Anfang dieses Jahres besetzten indigene Gruppen aus dem gesamten Bundesstaat 30 Tage lang das Bildungsministerium in Belém, um gegen die Privatisierung und Kürzung des Bildungswesens in indigenen Dörfern zu protestieren.[9] Trotz dieser Konflikte versucht die Regierung von Barbalho, den Bundesstaat als Zentrum der „grünen“ Entwicklung zu positionieren. 

Dies zeigte sich bereits im Oktober 2021, als Belém Gastgeber des Weltforums für Bioökonomie war. Die Veranstaltung wurde von multinationalen Konzernen wie dem Lebensmittelhersteller Cargill, dem Agrochemie-Riesen Bayer, dem US-Fleischverarbeiter JBS und dem Emissionshandelsunternehmen Carbonext gesponsert und von der Vereinigung der brasilianischen Agrar- und Baumindustrie massiv beworben. Soziale Bewegungen oder Vertreter lokaler Gemeinschaften waren auf dem Forum, abgesehen von einer indigenen Frau, die Barbalhos Regierung angehört, nicht anwesend. 

In Reaktion darauf organisierten Indigenen-, Quilombola-, Kautschukzapfer-, Fischer-, Bauern- und Kleinbauernorganisationen eine Gegenveranstaltung: das Amazonastreffen zur Sozio-Biodiversität. Dort stellten sie das von Unternehmen vorangetriebene Modell der Bioökonomie infrage und präsentierten stattdessen die Idee der „Sozio-Biodiversität“: Anders als die Bioökonomie bezieht diese komplexe Wald- und Flussökosysteme sowie traditionelle Praktiken, Wissen, Beziehungen und territoriale Rechte mit ein. In einer gemeinsamen Erklärung an die damalige COP26 in Glasgow betonten die teilnehmenden Organisationen, dass sie keiner Strategie zustimmen würden, „die ausschließlich auf einer Marktlogik basiert, mit Unternehmen, die unsere Rechte bedrohen, und mit Finanzierungsmechanismen, die nicht der Realität unserer Territorien entsprechen“.[10]

Tatsächlich müssen die brasilianische Bundes- wie auch die Landesregierungen den Dialog mit den indigenen Gemeinden suchen, denn das Völkerrecht erkennt ein Mitspracherecht indigener Gemeinden mit Blick auf ihren angestammten Lebensraum an. Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation garantiert indigenen Gruppen das Recht auf freie, vorherige und informierte Konsultation zu Entscheidungen und Projekten, die ihre Territorien betreffen. Doch die Landesregierung von Pará treibt das Projekt der Bioökonomie mittels technokratischer Verfahren voran, die das Recht der indigenen Gemeinden auf Konsultation nicht sicherstellen, sondern vielmehr bedrohen.

Erklärtes Ziel der von der Regierung in Pará 2021 per Dekret verabschiedeten Bioökonomie-Strategie ist die Förderung eines emissionsarmen Wirtschaftswandels, von Klimaresilienz und Armutsbekämpfung durch die sogenannte Soziobioökonomie. Doch die von der Regierung eingesetzte partizipative Arbeitsgruppe, die konkrete Maßnahmen für ihren PlanBio ausarbeiten sollte, verkörperte in Wirklichkeit den Ausschluss der Waldbewohner von Entscheidungsprozessen. Zwar gehörten der Arbeitsgruppe auch soziale Bewegungen, die die Waldbewohner vertreten, sowie Interessengruppen und NGOs an, doch die Stimmrechte lagen mehrheitlich in den Händen des Staates: Sieben Vertreter kamen aus der Regierung von Pará, einer aus der Bundesregierung und nur einer aus der Zivilgesellschaft – von der NGO IPAM und damit von keiner Vertretung der Waldbevölkerung. 

Symbolische Konsultationen statt Beteiligung der Waldgemeinden

Zwei NGOs spielten in diesem Prozess eine zentrale Rolle: Das Centro Brasil no Clima (CBC) mit Sitz in Rio de Janeiro und The Nature Conservancy (TNC), eine US-amerikanische Naturschutzorganisation, die seit Jahrzehnten einen unverhältnismäßig hohen und oft undurchsichtigen Einfluss auf die Politik und das Management von Schutzgebieten in den Amazonasstaaten ausübt. Die beiden NGOs organisierten die Konsultationsworkshops und prägten dadurch deren Ergebnisse maßgeblich mit. 

In nur sechs Monaten wurde der PlanBio ausgearbeitet, vom Lenkungsausschuss für Klimawandel des Bundesstaates genehmigt und für eine kurze, symbolische öffentliche Konsultation freigegeben. In den vom Plan am stärksten betroffenen Wald- und Flussgemeinden aber fanden keine Konsultationen statt. Stattdessen wurden die Debatten der Zivilgesellschaft in den Großstädten Belém, Marabá, Santarém und Altamira abgehalten, meist in klimatisierten Hotelauditorien, geleitet von der US-amerikanischen NGO TNC. 

Die dort anwesenden Vertreter der lokalen Gemeinschaften wurden dabei eher als Teilnehmende denn als Entscheidungsträger behandelt. Sie tauschten zwar ihre Erkenntnisse in Plenarsitzungen und Arbeitsgruppen aus, doch einige ihrer Beiträge verschwanden durch die Moderation der Mitarbeiter von TNC, CBC und anderen Beratern auf mysteriöse Weise. Dass TNC schließlich auch mit der Ausarbeitung des endgültigen Dokuments beauftragt wurde, erfuhren viele Teilnehmende erst im Nachhinein.

Die Waldgemeinden diskutierten insbesondere den Schutz ihrer territorialen Rechte. In Regionen wie Marajó und Baixo Tocantins sind Landraub und illegale Entwaldung besonders häufig.[11] Entsprechend warnten die Gemeinden davor, dass finanzielle Anreize im Rahmen des Bioökonomieplans die Spekulation mit Land und die Vertreibung der Bevölkerung verschärfen könnten. Als das Umweltsekretariat von Pará jedoch im Oktober 2022 den endgültigen Entwurf des PlanBio vorstellte, waren die von den Gemeinden erhobenen Forderungen nach einer Landnutzungsplanung gestrichen worden. Anders als zugesagt, erfuhren die Gemeinden von dem Entwurf zudem erst nach dessen Veröffentlichung. Der Plan sieht zwar vor, Land an traditionelle Bevölkerungsgruppen zu vergeben, enthält jedoch keinerlei Maßnahmen, wie dieses Vorhaben umgesetzt werden soll, wie etwa Maßnahmen zur Bekämpfung von Landspekulation.[12]

Auch die vom Umweltsekretariat von Pará versprochenen weiteren Konsultationen in Waldgemeinden in ganz Pará haben nie stattgefunden. Stattdessen verkündete die Landesregierung Ende 2022 auf der COP27 im ägyptischen Sharm el-Sheikh den Start ihres PlanBio.[13] Ihr Vorgehen zeigt, wie Konsultationen sorgfältig inszeniert werden, um den Anschein von Partizipation zu erwecken, während Dissens ausgeblendet wird. Die Regierung von Pará profitiert dabei nicht zuletzt von den eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten der lokalen Gemeinden und ihrer Kontrolle über die regionalen Medien. Im Ergebnis ist es der Landesregierung gelungen, ihre Macht und ihr grünes Image zu festigen, indem sie indigene und traditionelle Aktivisten sowie Künstler kooptierte und sich als Verbündete der indigenen Kämpfe präsentierte, während sie diese in der Praxis ausgrenzt. 

»Unsere Gebiete stehen nicht zum Verkauf!«

Thiago Rocha, Anwalt des Kollektivs Maparajuba, das sich für die Rechte traditioneller Gemeinschaften in Santarém einsetzt, weist auf die Diskrepanz zwischen dem PlanBio und den Interessen der Gemeinschaft hin: „Es scheint, dass die Verfasser des PlanBio im Ausland ein grünes Image verkaufen wollen. Die Nutznießer eines solchen Plans sollten diejenigen sein, die bereits nachhaltig leben. Die Diskussionen über die Bioökonomie zeigen jedoch, dass unsere Probleme ignoriert werden, wie beispielsweise die Brände in Pará. Ist es das, was wir wollen? Einen Bioökonomieplan ohne die breite Beteiligung derjenigen, die seit jeher im Wald leben? Der Markt als Lösung für den Klimawandel? Wir müssen in den Territorien die Quelle für Lösungen suchen, nicht in großen Unternehmen oder NGOs.“[14]

Es überrascht nicht, dass sich die fehlenden Konsultationen auch im Inhalt des PlanBio widerspiegeln. Obwohl Lippenbekenntnisse zur Einkommensschaffung für Gemeinden abgegeben werden, reproduziert der Plan ein wirtschaftsorientiertes Modell, das im Widerspruch zur umfassenderen Vision der Soziobiodiversität steht, für die sich die Zivilgesellschaft einsetzt.

Während sich der Bundesstaat also als Vorreiter für Klimaschutz präsentiert, offenbart die Praxis der dortigen Regierung eine auf große Unternehmen ausgerichtete Agenda. Erst im September 2024 unterzeichnete Gouverneur Barbalho einen Emissionshandelsvertrag mit der sogenannten LEAF-Koalition, einer Unternehmensinitiative, die von den Regierungen Norwegens, der USA und des Vereinigten Königreichs unterstützt wird und an der Unternehmen wie BlackRock, Delta, Volkswagen, Bayer, Walmart, Nestlé und Airbnb beteiligt sind.[15] Der Deal verspricht bis zu 180 Mio. US-Dollar, wenn Pará die Emissionen aus der Abholzung um zwölf Mio. Tonnen CO2 reduziert. Die auf dieser Grundlage ausgegebenen Emissionszertifikate werden von einem privaten Unternehmen erstellt und gehandelt.

Bei der Bekanntgabe der Vereinbarung auf der New York Climate Week Ende September 2024 posierte Barbalho mit Indigenen und Quilombolas für offizielle Fotos. In Pará selbst allerdings war die Vereinbarung zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unbekannt. Mehrere Gruppen veröffentlichten kurze Zeit später einen Brief, in dem sie das Abkommen und die fehlende vorherige Konsultation der lokalen Gemeinden verurteilten und erklärten: „Unsere Gebiete stehen nicht zum Verkauf!“[16] Weiter heißt es dort: „Die Abgrenzung indigener Gebiete, die Vergabe von Landtiteln an Quilombola und die Landregulierung sind unerlässlich für die Aufrechterhaltung traditioneller Lebensweisen, die eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Klimakrise spielen. Diese Rechte sind grundlegend und nicht verhandelbar und dürfen nicht an irgendwelche Verpflichtungen geknüpft werden.“

Im April 2025 empfahlen die Bundesstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft von Pará schließlich die sofortige Aufhebung des Emissionsminderungsabkommens, einschließlich des Vorverkaufs von Emissionszertifikaten. Sie reichten auch vor dem Bundesgericht Klage ein. Die Regierung von Pará und die LEAF-Koalition legten dagegen Berufung ein, woraufhin die Staatsanwaltschaft von Pará ihre Empfehlung wieder zurückzog. Die für Juni angesetzte Schlichtung hat bisher noch zu keinem Ergebnis geführt – wohl auch, weil politische und wirtschaftliche Eliten den Prozess blockieren, um ihr Image im Vorfeld der COP30 nicht zu gefährden.[17]

COP30: »Business as usual« oder sozialökologische Gerechtigkeit?

Unterdessen bietet die Bioökonomie kaum Möglichkeiten, die Auswirkungen des Klimawandels zu verringern – insbesondere in städtischen und stadtnahen Gebieten. Flussgemeinden wie Afuá, die auf Pfählen über dem Amazonas erbaut wurden, sind durch zunehmende Überschwemmungen und extreme Hitze bedroht. Durch die Priorisierung großangelegter, marktorientierter „grüner” Lösungen bietet der Staat jedoch weder die Möglichkeit der demokratischen Kontrolle über die Budgets zur Klimafinanzierung noch fördert er konkrete Anpassungsmaßnahmen.

Mit der Bioökonomie will Brasilien als Gastgeber der COP30 alles auf einmal: Während die Regierung Lulas einerseits grüne Politik und Wirtschaft fördert, verfolgt sie andererseits Pläne zur Ausweitung der Ölförderung im Amazonasgebiet und macht damit alle mit der Bioökonomie verbundenen Träume – so unternehmenszentriert und sozial wie ökologisch unausgewogen sie auch sein mögen – wieder zunichte. Anlässlich der COP30 werden die Waldbewohner ihre zentrale Kritik, dass die Bioökonomie Ungleichheiten verstärkt, vortragen. Zwar sind die lokalen Amazonasgemeinden heute nicht mehr unsichtbar, aber eine Sichtbarkeit, die von der Logik des Marktes geprägt ist, wird die Ungleichheit nur noch vertiefen und soziale Bewegungen und Gemeinschaften spalten. 

Damit spiegelt die Debatte um die Bioökonomie in Pará einen globalen Trend wider: nämlich die Fortführung eines in die Sprache des sozioökologischen Wandels verpackten „Business as usual“. Doch es bleibt keine Zeit, weiter in die Fallen der Greenwashing-Maschinerie zu tappen. 

Viel zu lange haben die Regierungen der Amazonasstaaten – nicht nur in Pará – die Waldbewohner ausgebeutet. Dessen ungeachtet wollen sie nun von der Klimafinanzierung profitieren und gleichzeitig weiter Rohstoffe abbauen. Erst im vergangenen Oktober ließ die Landesregierung von Pará parallel zum G20-Treffen zur Bioökonomie einen Stadtwald in Belém roden, der Palmen, Obstbäume, Wildtiere und traditionelle Heilpflanzen beheimatete, um Platz für eine neue Autobahn für die COP30 zu schaffen. Die nun anstehende UN-Klimakonferenz bietet die Gelegenheit, solche Widersprüche aufzudecken und den Forderungen der sozialen Bewegungen Gehör zu verschaffen. Diese fordern schon lange Landrechte, Ressourcen und sozioökologische Gerechtigkeit.

[1] Vgl. Claudia Horn, Klimahilfe mit Nebenwirkungen. Kooperation und Konflikt im Namen des Amazonas-Schutzes, München 2025.

[2] Vgl. Bioeconomia - inovação e sustentabilidade em cadeias produtivas, sebrae.com.br, 30.6.2020.

[3] Vgl. Brasil entrega presidência do G20 para a África do Sul, gov.br/g20, 19.11.2024.

[4] Camila Souza Ramos, PIB da ‘bioeconomia’ avançou 1,03 % em 2023, globorural.globo.com, 12.8.2024.

[5] The Brazil Climate and Ecological Transformation Investment Platform, gov.br.

[6] Plano Estadual de Bioeconomia do Pará, semas.pa.gov.br/planbio.

[7] Secretaria de Comunicação Social, Renda dos paraenses cresce 13,9 % entre 2022 e 2024, 26.6.2025.

[8] So werden die Siedlungen der Nachkommen geflohener schwarzer Sklaven bezeichnet.

[9] Mariana Castro, Após 30 dias de ocupação, governo revoga lei que ameaçava ensino presencial em comunidades indígenas do Pará, brasildefato.com.br, 12.2.2025.

[10] Leia a Carta da Amazônia 2021: „na defesa de uma economia capaz de conviver com a floresta, garantir direitos e distribuir renda“, gtagenda2030.org.br, 3.11.2021.

[11] Claudia Horn, The International and Local Politics of the Rural Environmental Registry: Brazil’s Green Currency, in: „Development and Change“ 6/2024, S. 1123-1314. 

[12] Pantoja Ramos, Carta Iwasa’i: Questões Fundiárias, Natureza e Ensaio de Cosmovisão, recantodasletras.com.br, 2021.

[13] Igor Nascimento, Após um ano de lançamento do PlanBio, Estado celebra resultados alcançados, agenciapara.com.br, 6.12.2023.

[14] Im Gespräch mit den Autoren am 13.5.2025.

[15] New Agreement with Global Businesses Preserves Rainforest in the Amazon, nicfi.no, 25.9.2024. 

[16] Carta dos Povos e Comunidades Tradicionais e Parceiros contra o desrespeito ao Direito à Consulta Livre, Prévia e Informada Pelo Estrado do Pará, documentacao.socioambiental.org, 8.10.2024.

[17] Venda antecipada de crédito de carbono pelo Pará está em xeque, tapajosdefato.com.br, 30.5.2025.

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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