Ernst-Ludwig Winnacker ist ein vielseitiger Mann. Aufmerksame Leser konnten ihn in den letzten Jahren in höchst unterschiedlichen, fein aufeinander abgestimmten Rollen kennenlernen. Da ist zuerst der Wissenschaftslobbyist Winnacker. Nennen wir ihn W. 1. Er zeichnet verantwortlich für den gen- und biotechnologischen Teil einer Broschüre der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der keineswegs die ihr gebührende Aufmerksamkeit zuteil geworden ist (vgl. "Blätter", 12/1996). Da geht es um die Deregulierung der "Zukunftstechnologien", von denen manche es für vorteilhaft halten, im Gewande von Wissenschaft und Forschung zu marschieren und deren grenzenlose Freiheit für sich in Anspruch zu nehmen. Ein Satz mag genügen, um den Geist dieses Plädoyers für "Forschungsfreiheit" heraufzubeschwören: "Eine wesentliche Ursache für Forschungsbehinderungen stellen G e s e t z e dar. Sie schränken die Forschungsfreiheit zum Teil absichtlich ein, wie zum Beispiel das Tierschutzgesetz, zum Teil aber unbeabsichtigt [...] wie zum Beispiel das Bundesnaturschutzgesetz, das Bundesdatenschutzgesetz" (S. 2). Das ganze Pamphlet fordert für die Forschung einen Ort außerhalb jedweder gesetzlichen Beschränkung, und besonders lästig ist neben dem Betriebsverfassungsgesetz wen wundert's.e - das Embryonenschutzgesetz.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.