Ausgabe Mai 2001

Fahnenflucht zum Grundgesetz

Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. (Art. 97 Abs. 1 GG)

Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes lautet: "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen." Darauf bezogen sich die 40 Juristen und Juristinnen, die zu Beginn des NATO-Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien Strafanzeige stellten. Die Bundesanwaltschaft lehnte es jedoch ab, Ermittlungen gegen die verantwortlichen Politiker einzuleiten. Sie zitierte Gerhard Schröder, einen potentiell Beklagten, und behauptete schlicht, dieser Krieg - der ja in der Orwellschen Sprache der Regierung gar keiner war -, werde nicht in der Absicht geführt, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören.

So blieb es Richtern erspart, ihre Unabhängigkeit gegenüber einer Staatsanwaltschaft, die eher eine Regierungsanwaltschaft darstellt, unter Beweis zu stellen. Daß die "grammatische und systematische Auslegung" dieses Grundgesetzartikels in der verfassungsrechtlichen Literatur der Rechtsmeinung des Generalbundesanwalts widerspricht, hat jüngst Sibylle Tönnies nachgewiesen.

Sie haben etwa 8% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 92% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Der Preis der Freiheit: Politische Gefangene in Belarus

von Olga Bubich

Es war eine große Überraschung für weite Teile der internationalen Gemeinschaft: Am 21. Juni ließ das belarussische Regime 14 politische Gefangene frei. Unter ihnen befand sich Siarhei Tsikhanouski, der 2020 verhaftet wurde, um seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen zu verhindern.