Im Jahr 1798 publizierte Kant drei ältere Abhandlungen unter dem Titel "Der Streit der Fakultäten". Darin entwickelt er eine moderne Idee der Wissenschaft. Auffällig ist freilich, dass er Wissenschafts- und Universitätssystem identifiziert. Die Universität oder die Wissenschaftlergemeinschaft ist im Unterschied zum "bürgerlichen" das "gelehrte gemeine Wesen", eine juristische Körperschaft: die Gelehrtenrepublik. 1) Modern ist diese Idee, weil sie sich f u n k t i o n a l an der Differenzierung von Macht und Wahrheit orientiert. In der Gelehrtenrepublik geht es um Wahrheit und Beweise, im Staat um Macht und Befehle. 2) Lehre und Forschung sind nur der Gesetzgebung der Vernunft verpflichtet. 3) Modern ist diese Idee aber auch n o r m a t i v, denn Kant legt der Wissenschaft den Begriff einer "freien Verfassung" zugrunde und lokalisiert sie damit historisch im Horizont der Französischen Revolution. 4) Politik, Recht, Moral und Wissenschaft entspringen der einen Quelle der Freiheit. Die öffentliche Bedeutung autonomer Wissenschaft sah Kant einmal in der Selbstaufklärung des "g e l e h r t e n gemeinen Wesens durch den Streit der Fakultäten und zum anderen in der volkspädagogischen Aufklärung des breiten Publikums als "bürgerliches gemeines Wesen".
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.