Ausgabe November 2002

Eher Nietzsche als Hobbes

Kagans Beobachtungen treffen weitgehend zu. Ja, die Europäer haben einen anderen Zugang zu den Fragen der internationalen Politik als die USA, die das Völkerrecht zunehmend als eine lästige Fessel und nicht als einen „gentle civilizer of nations“ (Koskenniemi) empfinden. Auch kann das in Europa verbreitete Lamentieren über US-amerikanischen Unilateralismus und hegemoniales Gebaren immer weniger eine gewisse innere europäische Unaufrichtigkeit verbergen: Wenn Europa von den USA und der übrigen Welt als gleichberechtigter globaler Ordnungsfaktor ernst genommen werden will, dann müsste es auch bereit sein, die dafür erforderlichen erheblichen Anstrengungen und Entbehrungen auf sich zu nehmen, sprich: die Prioritäten seiner politischen Agenda zu verändern und seine militärischen Etats zu Lasten der Ausgaben für den inneren sozialen Frieden und einen angenehmen Wohlstand zu erhöhen. Eine Weltmacht, die für ihre eigene Sicherheit nicht sorgen kann, ist ein Selbstwiderspruch. Und schließlich – ich zitiere mich hier selbst1 – einer Hegemonialmacht vorzuwerfen, dass sie sich hegemonial benehme, ist so – um eine Metapher von Josef Schumpeter abzuwandeln – als werfe man einem Mops vor, dass er sich keinen Wurstvorrat anlegt.

Sie haben etwa 28% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 72% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Frieden durch Recht

von Cinzia Sciuto

Am Anfang stand der 11. September 2001. Danach wurde die Lawine losgetreten: Ein langsamer, aber unaufhaltsamer Erdrutsch erfasste die internationale rechtliche und politische Ordnung. Ein Erdrutsch, der nach und nach die supranationalen Institutionen und die stets fragile, aber nie völlig illusorische Utopie einer friedlichen und auf dem Recht basierenden Weltordnung tief erschüttert hat