Ausgabe November 2002

Eine Supermacht ist vielleicht keine

Auf der Titelseite einer der jüngsten Ausgaben von „The Weekly Standard“, einem einflussreichen neokonservativem Blatt in den USA, prangte der Slogan "We are the world". Das ist ernst gemeint. In Deutschland fühlt man sich da schnell an wilhelminische Sprüche vom „Platz an der Sonne“ erinnert. Die Assoziation ist falsch. Im einen Fall wirft eine Nation sich im Anspruch ihrer Ideologen zum verwirklichten Utopia der Weltgesellschaft auf, im anderen forderte ein nachwachsender Kraftprotz von seinen kolonialen Konkurrenten einen größeren Anteil ein. Neokonservatismus bedeutet in den USA etwas anderes als in Europa. Knüpft er dort an die Vorstellung der USA als der Keimform einer freien Weltgesellschaft an, so trauert er hier imperialer Großmacht nach. In transatlantischen Streitfragen darf man die unterschiedliche Geschichte nicht vergessen.

Robert Kagan bezeichnet einen Schnittpunkt zwischen den entgegengesetzten Traditionslinien (amerikanisch)- utopischer Weltinnenpolitik und (europäisch-) imperialer Großmachtpolitik. Als ob in Europa die Rolle der Macht vergessen worden sei, der sich die USA nolens volens annehmen müssten. Als ob die Europäer in ihrer angeblichen Machtvergessenheit Kantschem Idealismus frönten, während die Amerikaner wohl oder übel es mit dem Realismus eines Hobbes halten müssten.

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Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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