Ausgabe November 2024

Drohnen als Exportschlager: Wie die Türkei den Krieg exportiert

Bozok-Munition für Drohnen. In der Türkei läuft die Massenproduktion, 4.9.2022 (IMAGO / Depositphotos)

Bild: Bozok-Munition für Drohnen. In der Türkei läuft die Massenproduktion, 4.9.2022 (IMAGO / Depositphotos)

Es ist ein heißer Sommertag, als am 24. Juni 2020 eine Eilmeldung über die Fernsehbildschirme Nord- und Ostsyriens flimmert. Der kurdisch-arabische Fernsehsender Ronahî TV berichtet von einem Drohnenanschlag in Kobanê. Die Bilder zeigen eine schwarz verkohlte, halb eingebrochene Wand, am Boden liegen in Bettdecken eingewickelte Leichen. Unter den Toten ist auch die Frauenrechtlerin Zehra Berkel. Nach der Befreiung vom syrischen Regime 2012 hatte sie wichtige Ämter in der neu geschaffenen Selbstverwaltung bekleidet, unter anderem als Ko-Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt Kobanê, zuletzt war sie Vorstandsmitglied der syrischen Frauendachorganisation „Kongreya Star“. Mit ihr verlieren die Frauenrechtsaktivistin Hebûn Melê Xelil und die fünffache Mutter Amîna Wayîsî ihr Leben. Die regierungsnahen türkischen Medien feiern den Angriff auf die drei unbewaffneten Zivilistinnen als erfolgreichen Schlag und „Neutralisierung hochrangiger PKK-Terroristen“.

Der Anschlag auf die drei Frauen in Kobanê ist der Beginn einer bis heute andauernden mörderischen Kampagne des türkischen Militärs gegen die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien. Insbesondere seit Sommer 2021 vergeht nahezu keine Woche ohne einen türkischen Drohnenanschlag, Luftangriff oder gezielten Artilleriebeschuss. Nach Angaben des Rojava-Informationszentrums (RIC), einem in Nordsyrien ansässigen unabhängigen Nachrichten- und Dokumentationszentrum, ereigneten sich allein 2022 mindestens 128 Drohnenangriffe mit 87 Toten und 151 Verletzten. Für 2023 dokumentierte das Informationszentrum sogar 198 Angriffe mit 105 Toten und 123 Verletzten. Und seit Beginn dieses Jahres wurden bereits 120 Luftschläge mit mindestens 33 Toten und 44 Verletzten dokumentiert. Bei vielen der Opfer handelt es sich um Zivilisten.

Dabei erfolgen die türkischen Angriffe auf zivile Ziele in Nord- und Ostsyrien keineswegs aus Versehen. Im Gegenteil: Die Präzisionsschläge gegen bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Kultur sind integraler Bestandteil der türkischen Kriegsstrategie im Norden Syriens. Diese folgt einer erbarmungslosen Doktrin, wonach alle, die in irgendeiner Form an der multiethnischen Selbstverwaltung mitwirken, als Terroristen zu behandeln und ohne Rücksicht auf Verluste zu „neutralisieren“ sind – ganz gleich, ob es sich um Kombattanten, Politiker, Verwaltungsangestellte oder sogar Künstler handelt. Beispiele wie der tödliche Angriff auf die Ko-Vorsitzende der Selbstverwaltung des Kantons Qamişlo, Yusra Darwish, und ihren Stellvertreter Lîman Şiwês¸ im Juni 2023 oder der Angriff auf ein Fahrzeug des bekannten kurdischen Künstlers und Dichters Ferhat Merde im April 2022 sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Im August 2022 etwa starben fünf Mädchen, als eine türkische Rakete auf dem Volleyballfeld eines von der UN-geförderten Mädchenbildungszentrums nahe der nordsyrischen Stadt Til Temir einschlug.

Das türkische Verteidigungsministerium übernimmt nur in den wenigsten Fällen die Verantwortung für die völkerrechtswidrigen Angriffe. Dabei lassen sich die meisten Schläge anhand der verwendeten Munition eindeutig der Türkei zuordnen. Seit einem Jahr haben die Angriffe der türkischen Regierung überdies ein neues Niveau erreicht: In drei Angriffswellen im Oktober und Dezember 2023 sowie im Januar 2024 wurden die Gas- und Stromversorgung, Fabriken und Lagerstätten sowie zahlreiche Krankenhäuser und Schulen schwer beschädigt und teilweise vollständig zerstört. Auch hierbei handelt es sich keineswegs um Kollateralschäden. Der türkische Außenminister Hakan Fidan hat sich vielmehr öffentlich zu den Angriffen auf die zivile Infrastruktur der Region bekannt. Es gehe darum, die Finanzquellen des Terrorismus auszutrocknen, betonte er. Lokale und internationale Beobachter sowie NGOs haben dagegen wiederholt und unmissverständlich auf die verheerenden humanitären Folgen der Angriffe hingewiesen. So schätzte das Zentrum für die Koordinierung von Notfallmaßnahmen (ERCC) der Europäischen Union am 22. Januar dieses Jahres, dass infolge der türkischen Angriffe über eine Million Menschen in insgesamt elf Städten und 2750 Dörfern von der Stromversorgung abgeschnitten worden sind. Damit haben die türkischen Angriffe die ohnehin schwierige humanitäre Lage im Norden und Osten Syriens bewusst weiter verschärft.

„Vorsätzliche Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind ein Kriegsverbrechen“, warnte angesichts der gezielten türkischen Luftschläge denn auch Human Rights Watch. Auch die UN-Sonderkommission für Syrien sowie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages teilen diese Einschätzung. Die Angriffe auf das Suwaydiyah-Gaskraftwerk im Kanton Jazireh, welches über 50 Prozent des Strombedarfs der Städte im Kanton Jazireh – darunter Qamişlo, Tirbespî und Derîk – gedeckt hatte, haben zu einer regelrechten Versorgungskrise in der Region geführt. So wurden in Suwaydiyah bis zu den Angriffen im Januar über 15 000 Flaschen Kochgas pro Tag abgefüllt. Aufgrund der schlechten und instabilen Stromversorgung sind die Bewohner Nord- und Ostsyriens zum Kochen ihrer täglichen Mahlzeiten auf Gasherde angewiesen. Seitdem die Abfüllanlage zerstört ist, müssen sie nun auf improvisierte dieselbetriebene Kochstellen zurückgreifen.

Politische oder gar juristische Konsequenzen musste der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bislang nicht befürchten, zu wichtig ist für westliche Staaten offenbar seine geopolitische Rolle etwa bei der Vermittlung im Ukrainekrieg oder in der Flüchtlingsfrage. Erst im April erklärten die Staats- und Regierungschefs der EU ihr „strategisches Interesse“ an „kooperativen und für beide Seiten nutzbringenden Beziehungen zur Türkei“. Auch wurde die Europäische Kommission mit der Aushandlung eines neuen Migrationsabkommens mit der türkischen Regierung beauftragt. Im Rahmen des bereits 2016 verabschiedeten Abkommens verpflichtete sich die Türkei, die Maßnahmen zum Schutz der europäischen Außengrenzen zu erhöhen und „irreguläre Migranten und Migrantinnen“, die nach der lebensgefährlichen Überfahrt aus der Türkei auf griechischem Territorium anlanden, zurückzunehmen, um so die Zahl der nach Europa migrierenden Menschen zu verringern. Im Gegenzug erhielt die Türkei bis September 2023 mindestens 7,2 Mrd. Euro Unterstützung von der EU. Amnesty International kritisierte den Deal schon vor seiner Unterzeichnung als „menschenverachtend und rechtswidrig“ und wies wiederholt darauf hin, dass die Türkei nicht als „sicheres Herkunftsland“ bezeichnet werden könne. Bundeskanzler Olaf Scholz plädierte beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten im vergangenen November dennoch dafür, „die gute Vereinbarung“ fortzusetzen, und betonte, dass man auch „über die Frage der Rückführungen“ sprechen müsse.

Das Geschäft mit dem Drohnenkrieg

Unterdessen sind türkische Kampfdrohnen schon lange nicht mehr nur in Syrien oder dem Irak im Einsatz, sondern sie sind vielmehr auch international zu einem regelrechten Exportschlager geworden. Die türkische Regierung weiß schon seit geraumer Zeit um die Vorzüge und das Potenzial der unbemannten Superwaffen. Seit 2007 konnte die türkische Armee im Kampf gegen Guerillaverbände der im Nordirak agierenden Arbeiterpartei Kurdistans PKK auf die Luftaufklärungsdaten US-amerikanischer „Predator“-Drohnen zurückgreifen. Ab 2009 wurden die türkischen Streitkräfte mit israelischen Aufklärungsdrohnen des Typs „Heron“ ausgestattet. 2014 investierte Ankara dann selbst in die Entwicklung und Fertigung von Drohnen. Vor allem die türkische Firma Baykar avancierte in den 2010er Jahren zum führenden Produzenten der unbemannten Luftfahrzeuge. Das milliardenschwere Unternehmen unter der Führung von Erdoğans Schwiegersohn Selçuk Bayraktar ist seitdem zum Schöpfer einer ganzen Reihe unbemannter Luftfahrzeuge avanciert. Die Auftragsbücher der führenden türkischen Drohnenhersteller Baykar und Turkish Aerospace Industries (TAI) sind voll, denn egal ob im Krieg in Osteuropa, wo die türkische Drohne Bayraktar TB2 aufseiten der ukrainischen Streitkräfte zum Einsatz kommt, im Kaukasus oder auf dem afrikanischen Kontinent – der Export türkischer Kampfdrohnen boomt. Im Dezember 2023 erklärte Selçuk Bayraktar, die hauseigenen Drohnen seien schon an 33 Staaten verkauft worden.

Was für Folgen der türkische Massenexport der Drohnen mitunter hat, zeigt ein jüngst veröffentlichter Bericht von Amnesty International. Laut der Menschenrechtsorganisation soll ein Drohnenschlag auf einen Bauernhof in der Nähe des Dorfes Bagdad im ostafrikanischen Staat Somalia das Leben von 23 Zivilisten, darunter 14 Kinder, gefordert haben. Dabei handelte es sich um einen sogenannten Double Tap-Angriff: Zu Hilfe eilende Dorfbewohner, die die Verletzten des ersten Einschlags bergen wollten, wurden durch einen zweiten Schlag getötet. Amnesty International veröffentlichte im Nachhinein Fragmente einer türkischen MAM-L-Gleitbombe, die vermutlich von einer ebenfalls türkischen TB2-Drohne ins Ziel geflogen wurde. Auch wenn laut Amnesty International feststeht, dass der fatale Angriff mit türkischen Drohnen und der dazugehörigen Munition geflogen wurde, ist nicht klar, ob somalische oder türkische Soldaten den Abschussknopf bedienten.[1]

Sicher ist dagegen: Die türkischen Unternehmen Baykar und TAI haben bereits mit 15 afrikanischen Staaten Lieferverträge für die Modelle Bayraktar TB2, Aksungur und Anka-S abgeschlossen und zum Teil bereits geliefert. Somalia befindet sich bis dato zumindest offiziell nicht unter den Empfängerländern. Gegenüber den Vereinten Nationen, die 2022 untersuchen ließen, ob die Türkei gegen das Waffenembargo gegen Somalia verstoßen hat, erklärten türkische Verantwortliche, man habe keine Drohnen geliefert, diese aber selbst „im Kampf gegen den Terrorismus in Somalia“ eingesetzt. Auch der damalige somalische Innenminister Ahmed Malin Fiqi erklärte, türkische Kräfte würden die Drohnen fliegen, während die somalischen Streitkräfte lediglich die militärische Aufklärungsarbeit leisteten. Bereits 2017 hatte die Türkei im Rahmen der Ausbildungsmission TURKSOM in Somalia eine ihrer größten Auslandsbasen errichtet. Auf dem Gelände befindet sich eine Militäruniversität, in der somalische Polizei- und Armeeeinheiten ausgebildet werden. Auch im türkischen Isparta und in Foça bilden die türkischen Streitkräfte Kommandoeinheiten der somalischen Armee aus. Bis heute sollen mindestens 16 000 somalische Kräfte im Rahmen der türkischen Mission eine Ausbildung durchlaufen haben. Vertreter der türkischen Streitkräfte wirken zudem als Berater für das somalische Verteidigungsministerium und koordinieren in Zusammenarbeit mit ihren somalischen Kollegen Einsätze gegen die Al-Schabab-Miliz. Spätestens seit 2022 greifen die türkischen Streitkräfte dabei selbst aktiv aufseiten der somalischen Regierung in die Kämpfe ein.

Auch in zahlreichen anderen afrikanischen Ländern sind türkische Kampfdrohnen mittlerweile zum Kriegsmittel der Wahl geworden. In Westafrika hat die Türkei von den machtpolitischen Veränderungen der letzten Jahre profitiert und millionenschwere Geschäfte abgeschlossen. Nachdem in Mali 2020 das Militär die Macht übernahm und das Land auf einen antiwestlichen Kurs ausrichtete, zählte die Türkei zu den ersten Ländern, die die Militärregierung anerkannten und diplomatische Beziehungen aufnahmen.

Genauso verhielt sich die Türkei in Burkina Faso und Niger. Ankara gelang es auf diese Weise, in das von Frankreich hinterlassene Vakuum vorzustoßen und sich in der westafrikanischen Region als begehrter Partner zu etablieren. Diese pragmatische Außen- und Handelspolitik zahlt sich für die Türkei aus. So zählen die drei westafrikanischen Länder heute zu den 15 Abnehmern türkischer Drohnen auf dem afrikanischen Kontinent. Erst im April bestätigte die Militärregierung von Burkina Faso den Kauf mehrerer türkischer Kampfdrohnen. Im Internet kursierten kurz darauf Bilder, die die Fluggeräte nach ihrer Auslieferung in Burkina Faso zeigen sollen. Ouagadougou soll bis zu zwölf Akinci- und Bayraktar-TB2-Drohnen erstanden haben, die im Kampf gegen dschihadistische Milizen im Land eingesetzt werden sollen. Die Regierung des benachbarten Mali soll laut der Internetplattform „Military Africa“ mittlerweile über mindestens 17 Bayraktar-TB2-Drohnen verfügen. Und laut der Zeitschrift des deutschen Reservistenverbandes „Loyal“ sollen die türkischen Drohnen Ende 2023 im Verbund mit von der Russischen Föderation gelieferten Flugzeugen eine Schlüsselrolle bei der Eroberung der Stadt Kidal im Norden Malis gespielt haben. Fast zehn Jahren lang war Kidal von Tuareg-Rebellen kontrolliert worden; erst mit der jüngsten Militäroperation wurde sie wieder unter Kontrolle der malischen Regierung gebracht.

Aber auch in Nigeria, das als führende Macht innerhalb der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten ECOWAS nach dem Putsch in Niger Front gegen die Militärregierungen in Westafrika machte, kommen offenbar türkische Drohnen zum Einsatz. Als das nigerianische Militär im vergangenen Dezember in der Ortschaft Kaduna mindestens 85 Zivilisten bei einem angeblich versehentlich fehlgeleiteten Luftschlag tötete, kam schnell der Verdacht auf, dass dabei türkische Drohnen zum Einsatz kamen. So berichtete die „New York Times“[2] unter Verweis auf die Analyse zweier unabhängiger nigerianischer Sicherheitsfirmen, dass der Angriff mit großer Wahrscheinlichkeit von einer Bayraktar TB2 ausgeführt wurde.

Auch das äthiopische Militär nutzt die Drohnen türkischer Produktion im Kampf gegen Rebellengruppen in der abtrünnigen Provinz Tigray und geht dabei Berichten zufolge auch rücksichtslos gegen Zivilisten vor. So gilt es als erwiesen, dass die äthiopische Armee am 7. Januar 2022 in der Ortschaft Dedebit den Luftschlag auf eine Schule mit einer türkischen Bayraktar TB2 geflogen hat. Mindestens 57 Zivilisten verloren durch den Angriff ihr Leben.[3]

Deutsche Technik im Dienst von Autokratien

Mittlerweile kommen die türkischen Produkte jedoch nicht nur in Afrika, sondern in Konflikten weltweit zum Einsatz. Es waren vor allem türkische Drohnen vom Typ Bayraktar TB2, die 2020 im aserbaidschanisch-armenischen Konflikt die Verbände der international nicht anerkannten armenischen Republik Artsakh in die Knie zwangen und Aserbaidschans Armee die entscheidende Lufthoheit garantierten. Die Bayraktar-Drohnen sind inzwischen auch fester Bestandteil des aeronautischen Fuhrparks der ukrainischen Streitkräfte und kommen seit dem Überfall der russischen Truppen auf das Land im Februar 2022 nahezu täglich zum Einsatz. Auch Polen hat 2021 24 Drohnen für die Stärkung der eigenen Luftwaffe bei Baykar geordert. Die Liste der Käufer wird immer länger, und die türkische Regierung wird wohl auch weiterhin ohne kriegs- oder völkerrechtliche Bedenken bezüglich deren Verwendung den Export der hochpräzisen Waffensysteme vorantreiben. Dass die türkischen Drohnen insbesondere im Mittleren Osten, vor allem in den kurdischen Gebieten in Syrien und dem Irak, aber auch auf dem afrikanischen Kontinent bei Kriegsverbrechen und völkerrechtswidrigen Angriffskriegen eingesetzt werden sowie im Dienst von Autokratien wie dem aserbaidschanischen Regime Ilham Aljiews stehen, ist auch deshalb relevant, weil es deutliche Hinweise darauf gibt, dass auch deutsche Technik in den intelligenten Waffensystemen türkischer Hersteller zum Einsatz kommen.

So fand die Redaktion des ZDF-Magazins „frontal“ 2021 Indizien dafür, dass in den Bayraktar-TB2-Drohnen das Zielerfassungssystem Argos II des in Hessen ansässigen Rüstungsunternehmens Hensoldt verbaut ist.[4] Tatsächlich greift die Türkei bei dem Prestigeprojekt ihrer nationalen Rüstungsindustrie auf zahlreiche ausländische Bauteile zurück. Die armenische Investigativplattform „hetq“ veröffentlichte im August 2021 Bilder von Trümmerteilen einer 2020 abgeschossenen Bayraktar-TB2-Drohne, auf denen deutlich Bauteile kanadischer, österreichischer, britischer, Schweizer, französischer, US-amerikanischer und auch deutscher Produzenten zu erkennen sind. Ob die Türkei auch weiterhin Systeme von Hensoldt verbaut oder mittlerweile auf Eigenproduktion umgestiegen ist, lässt sich zwar nicht verifizieren, doch auch für die Entwicklung der eigens für die türkischen Drohnen gefertigten Gleitbomben MAM-L[5] und die kleinere MAM-C soll der türkische Hersteller Roketsan laut Recherchen des ARD-Magazins „Monitor“ auf deutsches Know-how zurückgegriffen haben.[6] Geholfen haben soll dabei der deutsche Gefechtskopf-Spezialist TDW mit Sitz in Schrobenhausen. TDW lieferte mit Genehmigung der Bundesregierung zwischen 2010 und 2018 die Panzerabwehrlenkwaffen LRAT und MRAT an die Türkei. Zwar wurden nur geringe Stückzahlen der komplexen Waffensysteme verkauft, doch in regelmäßigen Abständen und ausreichend, um einen Technologietransfer zu ermöglichen.

Unabhängig von der zweifelhaften Drohnenexportpolitik der türkischen Republik sollte die Bundesregierung, die sich eine „wertegeleitete Außenpolitik“ auf die Fahne geschrieben hat, allein vor dem Hintergrund der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch die türkischen Streitkräfte und ihre Verbündeten, aber auch angesichts des Demokratiedefizites in der Türkei selbst, den Export von Rüstungsgütern an Ankara unterbinden. Statt nur die „Erwartung“ zu formulieren, dass die Türkei bei ihren Bombenkampagnen „die Einhaltung des humanitären Völkerrechts sicherstellt“, und auf die „legitimen Sicherheitsinteressen der Türkei im Kampf gegen den Terrorismus“ hinzuweisen, wäre es dringend geboten, die gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur als das zu benennen, was sie ist: ein Kriegsverbrechen, das nicht mit dem Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta vereinbar ist und geahndet werden muss. Andernfalls wird man sich wohl auch weiterhin den Vorwurf der Doppelmoral gefallen lassen müssen.

[1] Somalia: Tötung von Zivilist*innen durch türkische Drohnen muss aufgeklärt werden, amnesty.de, 7.5.2024.

[2] Elian Peltier, Eric Schmitt und Ismail Alfa, Errant Airstrikes by Nigeria’s Military Have Killed Worshipers, Herders and Refugees, nytimes.com, 12.12.2023.

[3] Ethiopia: Airstrike on Camp for Displaced Likely War Crime, hrw.org, 24.3.2022.

[4] Joachim Bartz und Ulrich Stoll, Drohnenkrieg mit deutscher Technik, zdf.de, 30.11.2021.

[5] MAM steht für die Abkürzung Mini Akilli Mühimmat (zu Deutsch: Mini-Präzisionsmunition).

[6] Jochen Taßler, Nikolaus Steiner und Otfried Nassauer, Erdogˇans Drohnenkriege: Auch dank deutscher Technologie?, „monitor“-Sendung vom 20.8.2020, wdr.de.

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