Ausgabe November 2002

Von Bären, Wilderern und Förstern

Kagan kann glaubwürdig darlegen, dass sich die USA weniger für das Völkerrecht als für das Recht des Stärkeren interessieren. Ihm selbst nämlich ist das Völkerrecht offenbar unbekannt. Er scheint nicht zu wissen, dass die Welt seit über fünfzig Jahren kein Dschungel mehr ist, sondern ein System kollektiver Sicherheit; er scheint nicht zu wissen, dass sich die Völker der Erde eine Struktur gegeben haben, die ihnen verbietet, die militärische Gefahrenabwehr auf eigene Faust vorzunehmen; er scheint nicht zu wissen, dass diese Aufgabe 1945 einer eigens zu diesem Zweck eingerichteten Zentrale übertragen wurde: der UNO.

Er vergleicht die Welt mit einem Wald, in dem ein Mann vor der Frage steht, ob er den bösen Bären besser erschießen oder meiden soll. Kagan sieht nicht, dass in diesem Wald bereits ein Förster eingesetzt ist, der allein das Recht besitzt zu schießen. Jeder andere, der sich den Kampf gegen die Bären anmaßt, ist ein Wilderer, den der Förster notfalls abzuschießen befugt ist. Nun gibt es auch innerhalb einer solchen Konstellation Situationen, in denen Selbsthilfe angesagt ist. Im Wald: Wenn der Bär zum Angriff übergeht, darf er von jedem abgeschossen werden. In der Welt: Die UN-Charta erlaubt jeder Nation die Verteidigung. Dass dieser Fall gegenwärtig nicht vorliegt, sieht auch Kagan.

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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