Ausgabe November 2002

Wechselseitige Rücksichtnahme

Robert Kagan zeichnet ein sorgenvolles Bild der europäisch-amerikanischen Beziehungen. Bei allen Überzeichnungen liefert er eine in vielerlei Hinsicht treffende Beschreibung der zunehmenden Verwerfungen. Doch dass es dennoch "mehr als ein Klischee" sei, dass Amerikaner und Europäer nach wie vor über "einen gemeinsamen, westlichen Wertebestand verfügen", und dass das, "was sie für die Menschheit erstreben", immer noch "weitgehend deckungsgleich" ist (S. 1206), mag man am Ende der Ausführungen Kagans kaum noch glauben. Denn in seiner Zwei-Sphären-Welt scheinen die Amerikaner dazu verdammt, auf ewig die Rolle des Torwächters an der Mauer zwischen Dschungel und Paradies auszufüllen. Ihnen obliege es, mit "den Saddams", aber auch den "Jiang Zemins fertig zu werden", während unter anderem die Europäer im Kantschen Paradies "davon profitieren" (S. 1204).

Besteht wirklich noch Einigkeit über die Welt, die Amerikaner und Europäer anstreben? Die Zweifel mehren sich, weil schon die Bilder der gegenwärtigen Welt zunehmend divergieren. Der Ist-Zustand wird in Washington ganz anders beschrieben als in Paris oder Berlin.

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