Ausgabe Juni 2003

Ein beiläufiger Tod

Es gibt Filme, deren Zeitgenossenschaft erst allmählich sichtbar wird. Sie reifen, verlieren nicht, sondern gewinnen an Aktualität, scheinen Ereignisse zu begleiten, zu kommentieren, auf Umbrüche zu reagieren, die erst später passieren. Mit halbjährigem Abstand ist nach einem fast unbemerkten Start Bertrand Bonellos schon 2001 entstandener Film Der Pornograph erneut in die Kinos gekommen und wirkt nun wie eine trostlose Legende zu den Bildern des Irakkrieges, mit dem die Menschheit doch erst jetzt ihre Würde vollends verloren hat.

Der Jungfilmer Jacques hat in den 70er Jahren eine Reihe Pornofilme gedreht und sich dann zurückgezogen. Nun muss er aus finanziellen Gründen wieder ins Geschäft einsteigen, aber inzwischen herrscht ein anderer Geist, und der junge Assistent muss das Projekt vor den skurrilen Ideen des Altmeisters – "eine Pornographie zu schaffen an der Grenze der Abstraktion" – bewahren, um ein kommerzielles Desaster zu vermeiden. Trotzdem erscheint die Pornoproduktion hier immer noch wie eine ehrliche Arbeit ohne Tricks und Digitaleffekte, und die einzige hard core-Szene, die durch den Titel provozierte oberflächliche Erwartungen bedienen könnte, wird als das präsentiert, was sie ist: ein Stück Tagewerk. Die Aufbereitung von Sex für die naiven Voyeure ist ein Beruf wie jeder andere, in dem Künstler und Handwerker arbeiten.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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