Ausgabe Oktober 2003

Die fremdbestimmte Linke

Im Vorfeld des Wahlkampfes 19721 schickte sich das konservative Lager an, Sozialdemokraten und Kommunisten in einen Topf zu werfen und "Freiheit" gegen "Sozialismus" zu stellen. Die SPD hätte sich ängstlich ducken können, wie das später und bis heute häufig geschah. Willy Brandt, damals Bundeskanzler und SPD-Vorsitzender, folgte jedoch dem Rat, mit dem Diffamierungsversuch offensiv umzugehen und dazu den Begriff "Demokratischer Sozialismus" selbst zu definieren und begreifbar zu machen. Drei Monate vor der Wahl hielt Brandt anlässlich des 20. Todestages Kurt Schuhmachers eine Rede "Zum Auftrag des demokratischen Sozialismus"; gleichzeitig schaltete die SPD in Illustrierten eine Serie von großformatigen Anzeigen unter dem Titel "Erfolg von 109 Jahren Demokratischem Sozialismus".

Willy Brandt hatte 1972 keine besondere emotionale Bindung an den Begriff "Demokratischer Sozialismus". Aber er wusste, dass der Begriff, auch wenn er schon damals kaum benutzt wurde, für andere viel bedeutet, und achtete diese Bindung. Auch war ihm selbstverständlich klar, dass man sich vom politischen Gegner und von Agitatoren der konservativen Rechten nicht vorschreiben lassen darf, was man denkt und wie man die eigene Geschichte interpretiert.

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Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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