Ausgabe Oktober 2003

Notnagel UNO

Für den Präsidenten war es nie eine Frage. Der Angriff auf den Irak war Teil seines globalen Krieges gegen den Terror. Dort in Bagdad saß ein Regime, dem George W. Bush Verbindungen zum Terror-Netzwerk Al Qaida unterstellte, auch wenn er dies nie belegen konnte. Alle Warnungen vor den Folgen eines Krieges hat die US-Regierung nicht nur ignoriert. Sie stellte sich selbst auch noch als verantwortungsvolle Vollstreckerin von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates dar. Bush forderte die Vereinten Nationen bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung im Herbst 2002 auf, ihm blind zu folgen: Für die Weltorganisation gelte es sich zu entscheiden, ob sie den Zweck ihrer Gründer erfüllen oder "bedeutungslos" werden wolle.1

Ein Jahr nach diesem arroganten Appell scheint der Irak tatsächlich geworden zu sein, wozu Bush ihn schon vor der Invasion erklärt hatte: ein Operationsfeld für Terroristen. Und die in den Augen der US-Regierung eigentlich längst "bedeutungslose" UNO wird plötzlich wiederentdeckt: als Hilfsorgan, um das durch die Invasion der USA im Irak verursachte Chaos zu beseitigen.

Die Debatten der letzten Wochen kreisen daher um die Frage, ob und wie die Vereinten Nationen die gewünschte stärkere Rolle im Irak wahrnehmen sollen. Man dürfe die Iraker nicht weiter unter dem Chaos leiden lassen, heißt es.

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In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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