Wenn die Finanzaristokratie Lateinamerikas - 6 000 Bankiers, Anleger, Pensionsfondsvertreter, Risiko-Analysten, Geldexperten und Finanzminister - tagt, ist das Glas nicht nur halb voll, sondern sprudelt ordentlich über. So jüngst in Lima im Rahmen der 45. Jahrestagung der Interamerikanischen Entwicklungsbank (im spanischen Akronym BID, Banco Interamericano de Desarrollo). Lateinamerikas Wirtschaftsdaten der vergangenen fünf Jahre waren miserabel. Da auch die Wachstumslokomotive Chile lahmte, konnte die Region insgesamt lediglich einen Zuwachs von 1,3 Prozent per annum verbuchen, was bei einer Geburtenrate von unter zwei Prozent das Pro- Kopf-Einkommen der Lateinamerikaner einmal mehr schrumpfen ließ.
Doch plötzlich zeigte sich in Lima alles gänzlich anders. Enrique V. Iglesias, der ebenso korpulente wie gescheite BID-Präsident und heute unangefochten die tonangebende Autorität in der lateinamerikanisch-karibischen Entwicklungsdebatte, wich vom offiziellen Text seiner Eröffnungsrede ab und improvisierte den Satz "llegó la bonanza", die fetten Jahre sind da! Verhaltener Jubel brandete auf. Pedro Pablo Kuczynski, ein internationaler Finanzberater und derzeit erneut Perus Wirtschafts- und Finanzminister, griff Iglesias’ Motto sofort auf und proklamierte den Beginn einer dynamischen Wachstumsdekade für Lateinamerika.
Zumindest psychologisch ist die Euphorie verständlich.