Der Planet der Slums ist etwas absolut Neues. Erst seit wenigen Jahren sind wir in der Lage, die globale Dimension der Urbanisierung zu erkennen. So erstaunlich es klingt, aber in den klassischen Sozialwissenschaften – egal ob bei Marx, Weber oder auch in der Modernisierungstheorie aus den Zeiten des Kalten Krieges – ist nirgendwo antizipiert worden, was mit der Stadt in den letzten 30 oder 40 Jahren geschehen ist. Niemand sah das Aufkommen einer großen Klasse voraus, die überwiegend aus jugendlichen Stadtbewohnern besteht, welche keine reguläre Beziehung zur Weltwirtschaft haben und auch keine Chance, jemals in eine solche zu treten. Bei dieser informellen Arbeiterklasse handelt es sich weder um das Lumpenproletariat von Karl Marx, noch um das „Slum der Hoffnung“ voller Menschen, die letztlich Anschluss an die reguläre Wirtschaft finden werden, wie man es sich vor 20 oder 30 Jahren vorstellte. Abgedrängt an die Peripherie der Städte und gewöhnlich ohne Zugang zur traditionellen Kultur dieser Städte stellt diese informelle globale Arbeiterklasse eine präzedenslose Erscheinung dar, die kein Theoretiker vorhersah.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.