Eine sozialpolitische Bilanz der großen Koalition
Als die zweite große Koalition der bundesdeutschen Geschichte am 18. November 2005 ihren Dienst antrat, wurde sie von gutmeinender Seite als das rechte Bündnis zur rechten Zeit für die anstehenden großen Aufgaben bezeichnet. Doch obwohl ein Bündnis der „Volksparteien“ – seiner ganzen Konstruktion wie der unterschiedlichen programmatischen Tradition der Beteiligten nach – stets den Eindruck vermittelt, dass sämtliche Bevölkerungsschichten mit ihren spezifischen Interessen angemessen repräsentiert seien, folgte die Regierungspolitik von CDU, CSU und SPD zumeist dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht viel hat, dem wird teilweise auch das noch genommen. Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung – so lautete das heimliche Regierungsprogramm der großen Koalition, bei dessen Durchsetzung sich die CSU (aus der Opposition durch die FDP angefeuert) besonders hervortat, während die SPD zögerte und zauderte, aber letztlich stets zustimmte, wenn es um den Machterhalt ging.
Damit konnte die große Koalition an eine alte Tradition anknüpfen: Seit der Weltwirtschaftskrise 1974/75, als die sozial-liberale Koalition unter Helmut Schmidt damit begann, verabreicht jede Regierung dem Land im Grunde dieselbe Medizin: Entfesselung der Marktkräfte, Entlastungen des Kapitals und weitere Belastungen der sozial Benachteiligten.