Spätestens seit die Demonstranten in Tunesien den langjährigen Diktator Ben Ali zum Rücktritt zwangen, haben sämtliche Herrscher des Nahen und Mittleren Ostens Grund zur Beunruhigung. Die internationale Öffentlichkeit hat ihre Aufmerksamkeit inzwischen von Tunesien nach Ägypten und Libyen verschoben. Zugleich schwanken die professionellen Beobachter zwischen der These eines Dominoeffekts, wonach ein Umsturz den nächsten nach sich zieht, und der Annahme, dass die Länder der Region so unterschiedlich sind, dass ein solcher Effekt kaum vorstellbar ist. Beides ist für sich genommen plausibel: Einerseits dürfte die schnelle Abfolge der Massenproteste kaum zufällig sein; andererseits aber sind die betroffenen Länder in der Tat so verschieden, dass eine einzige, gemeinsame Ursache der Umwälzungen kaum unterstellt werden darf.
Der vermeintliche Widerspruch der beiden Annahmen löst sich allerdings auf, wenn man die Dialektik regionaler und lokaler Entwicklungen genauer ins Auge fasst. Die gegenwärtige Entwicklung begann nämlich keineswegs erst in Tunesien, und sie ist auch nicht auf arabische Länder beschränkt. Bereits 2005 begehrte ein großer Teil der libanesischen Bevölkerung gegen ihre prosyrische Regierung und die syrischen Besatzungstruppen auf – die Regierung stürzte, die syrischen Truppen zogen noch im gleichen Jahr ab.