Ausgabe Januar 2011

Demokratie paradox

Die aktuellen Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 und gegen die Atompolitik der Bundesregierung markierten den Aufbruch einer „APO 2.0“, meinte Claus Leggewie („Blätter“, 11/2010). Aber sind sie nicht eher Indizien einer veränderten Beziehung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten?

Proteste in Griechenland gegen die Misswirtschaft, in Frankreich gegen die Rentenpläne der Regierung, die Bürgerproteste in Stuttgart rund um das gigantische Bahnhofsprojekt und in Gorleben gegen die Atompolitik: Allerorten wird demonstriert, protestiert, ja geradezu der Aufstand des Volkes gegen seine politischen Repräsentanten geprobt. Die Medien und die Wissenschaften sind irritiert und unsicher, ob es sich bloß um eine zufällig geballte Anhäufung von öffentlicher Willensbekundung handelt, oder ob hinter der auffälligen Dichte eine strukturelle Veränderung sichtbar wird, die auf neuartige politische Attitüden oder auf ein verändertes Demokratieverständnis hindeutet.

Anzeichen für ein gewandeltes Demokratieverständnis in den westlichen Staatensystemen gibt es schon länger. In der Politikwissenschaft werden seit Jahren Ermüdungserscheinungen der Bürgerinnen und Bürger in den Industriestaaten diskutiert, in deren Rahmen das politische Interesse und die Bereitschaft zur Teilnahme an Wahlen bedenklich sinken.

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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