Ausgabe März 2013

Das böse Erwachen: Aufstieg und Fall der Mittelschicht

Jeder Möchtegern-Populist gibt heute vor, die „Mittelschicht“ zu verteidigen. Dabei herrscht keinerlei Einvernehmen darüber, was der Begriff überhaupt bedeutet.

Schauen wir nur auf die letzten Jahre: Da wurde die middle class in den Vereinigten Staaten abwechselnd so definiert, als sei buchstäblich jede und jeder gemeint – oder aber „jedermann“ abzüglich der 15 Prozent, die unter der offiziellen Armutsgrenze leben, oder aber umgekehrt abzüglich der allerreichsten Amerikaner. Das Department of Commerce verzichtet inzwischen sogar ganz auf einkommensbezogene Definitionsversuche. 2010 verkündete es in einem Report, middle-class families seien „eher durch ihren Erwartungshorizont als durch ihr Einkommen“ geprägt: „Mittelschichtfamilien erstreben ein Eigenheim, ein Auto, Hochschulausbildung für ihre Kinder, gesicherte Gesundheits- und Altersversorgung sowie gelegentliche Familienurlaube“[1] – eine Definition also, die so gut wie niemanden ausschließt.

Die Denunziation des Klassenbegriffs

Doch nicht nur der Begriff der middle class, schon der Klassenbegriff als solcher wirft Probleme auf – besonders in Amerika, wo jeder Hinweis auf die unterschiedlichen Interessen unterschiedlicher Beschäftigten- und Einkommensgruppen damit rechnen muss, als Klassenkampf oder class warfare denunziert zu werden.

Sie haben etwa 3% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 97% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (9.50€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Mythos grüne Digitalisierung

von Ingo Dachwitz, Sven Hilbig

Der Klang der Zukunft ist ein leises, elektrisches Dröhnen, das in den Knochen vibriert. Hier im Rechenzentrum herrscht niemals Stille. Es ist erfüllt von einem monotonen Chor mechanischer Flüstertöne.