Ausgabe Februar 2023

Ausgemustert, aber unverzichtbar: Pazifismus in Zeiten des Krieges

IMAGO / Ikon Images / John Holcroft

Bild: IMAGO / Ikon Images / John Holcroft

Seit Wladimir Putin vor fast einem Jahr mit dem Angriff auf die Ukraine ein neues Kapitel der Kriegsführung in Europa eröffnet hat, erleben wir gleichzeitig mit der Welle der Hilfe und Solidarität für die kämpfenden und fliehenden Ukrainerinnen und Ukrainer eine medial gestützte Diskreditierung des Pazifismus, dem von Naivität gegenüber der Kriegsrealität bis zur Unterwerfung gegenüber Putin ziemlich viel vorgeworfen wird.Im Zuge dessen wird auch die Ost-West-Entspannungspolitik der 1970er Jahre, also die auf Deeskalation und Friedenssicherung gerichtete deutsche Außenpolitik, in Zweifel gezogen. Das aber nährt die Sorge, dass im Sog des Krieges wichtige Lehren aus Konfliktgeschichte und -analyse über Bord geworfen, dass unter Berufung auf eine „Zeitenwende“ neue, vor allem auf militärisches Handeln ausgerichtete Weichen ohne ausreichenden strategischen Kompass für eine friedlichere Zukunft gestellt werden.[1] Allzu umstandslos wurden umgehend kooperative außenpolitische Paradigmen der vergangenen Jahrzehnte – zumindest im Hinblick auf die Russlandpolitik – als „illusionär“ oder gar „verlogen“ verabschiedet. Das aber ist nicht nur geschichtsvergessen, sondern diskreditiert wissenschaftlich begründete Friedens- und Sicherheitspolitik, wie sie aus den bitteren Lehren der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde.

»Blätter«-Ausgabe 2/2023

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In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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Manchmal kommt es auf der Weltbühne zu Ereignissen, die unmittelbar einen grundlegenden Bruch markieren. Der 7. Oktober 2023 war ein solches Ereignis. Die Hamas verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, indem sie fast 1200 Israelis ermordete.

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Wer seit dem 7. Oktober 2023 von Deutschland aus die Nachrichten zum Nahen Osten fortlaufend verfolgt, der steht vor einem quälenden Problem. Die Tag für Tag eintreffenden Informationen, Bilder und Videosequenzen sind so unerträglich geworden, dass man nahezu unausweichlich in eine moralische Zwangslage zu geraten droht.