Wie die Linkspartei ihren Erfolg verstetigen kann

Bild: Soeren Pellmann, Jan van Aken, Heidi Reichinnek und Ines Schwerdtner beim Parteitag der Partei DIE LINKE in Chemnitz, 9.5.2025 (IMAGO / photothek)
Ein sensationelles Comeback bei den Bundestagswahlen und die Zahl der Mitglieder mehr als verdoppelt – zwei gute Gründe für Die Linke, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Doch die mit dem Erfolg verbundenen Herausforderungen sind zahlreich. Zwei Drittel der Mitglieder sind seit 2021 eingetreten, das kommt einer Neugründung von unten nahe. Jetzt liegen vor der Partei die Mühen der Ebene: Dass alte und neue Mitglieder ein gemeinsames politisches Verständnis und eine gemeinsame politische Praxis entwickeln, ist kein Selbstläufer. Trotz Wahlerfolg und Mitgliederzuwachs bleibt es notwendig, die inneren Widersprüche und Konflikte zu bearbeiten – eine in der Vergangenheit immer wieder aufgeschobene Aufgabe. Auch mit den divergierenden Einstellungen in ihrer Wähler:innenschaft muss die Partei einen produktiven Umgang finden.
Um den Überraschungserfolg bei der Bundestagswahl in eine dauerhafte Stärke umzumünzen, gilt es aber zunächst, die Gründe für den Erfolg zu verstehen. Mit einer ebenso direkten wie offensiven Sprache („Milliardäre abschaffen“, „tax the rich“), der Forderung nach einem Mietendeckel und Senkung der Lebensmittelpreise konzentrierte Die Linke ihre Wahlkampagne auf soziale Themen und den Oben-Unten-Konflikt. Gleichzeitig zeigte sie gesellschaftspolitisch eine klare Haltung und vertrat als einzige Partei eine humane Flüchtlingspolitik. Die Linke hatte damit ein attraktives Alleinstellungsmerkmal, da die SPD angesichts der Angriffe der Union eilfertig versicherte, sie tue doch schon so viel gegen die „irreguläre Migration“, und die Grünen sich als Juniorpartner für Friedrich Merz andienten.
Ursächlich für diesen „ängstlichen“ Wahlkampf der Parteien der „demokratischen Mitte“ sei, so Bernd Ulrich[1], der Versuch gewesen, alle „Triggerpunkte“ zu vermeiden. Gänzlich anders Die Linke: sie habe fröhlich auf den Triggerpunkten einen „Stepptanz vollführt“ und sei damit erfolgreich gewesen. Ein erstaunlicher Befund, hatte es doch auch in der Linken eine umfangreiche Diskussion über die Spaltungslinien und Triggerpunkte innerhalb der potenziellen Wähler:innen gegeben und Überlegungen, wie man Positionen „enttriggern“ und Zielkonflikte vermeiden könne.[2]
In ihrem Buch „Triggerpunkte“ kamen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser zum Ergebnis, ein großer Teil der Wähler:innen stimme mit der Kritik der Linken an der gewachsenen gesellschaftlichen Einkommens- und Vermögensungleichheit überein. Dennoch zeige sich (damals, 2023) „das Bild einer gespaltenen Partei“: Zu migrationspolitischen Fragen gebe es zwei Haltungen, „eine eher mittige bis migrationsskeptische und eine empathisch migrationsoffene“. Auch bei der Klimapolitik zeige sich eine gravierende Differenzierung der linken Anhänger:innen: „Eine Subgruppe sammelt sich wiederum in Nähe zur AfD-Wählerschaft, eine in der Mitte des Spektrums.“ Eine „stark klimaprogressive Gruppe wiederum befürwortet einen tiefgreifenden sozial-ökologischen Umbau“.[3] Eine weitere – von Mau nicht untersuchte Spaltungslinie – liegt im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik: Befürworter:innen und Gegner:innen von Waffenlieferungen an die Ukraine halten sich im linken Potenzial die Waage, ähnliches gilt für die Haltung zur Erhöhung der Rüstungsausgaben.[4] Nur nicht triggern?
In Vorbereitung der Bundestagswahl trat die Partei mit einer Gesprächsoffensive an Haustüren und auf der Straße mit Wähler:innen in Kontakt, um die diese bewegenden dringlichsten Probleme zu erfragen. Im Ergebnis entschied Die Linke, ihre Wahlstrategie auf die Forderungen nach einem Mietendeckel, der Senkung der Lebensmittelpreise und Rückverteilung des Reichtums zu konzentrieren und gleichzeitig in den „triggernden“ gesellschaftspolitischen Fragen wie Migration, Krieg und Aufrüstung sowie Klimaschutz Haltung zu zeigen, ohne diese Fragen in den Vordergrund zu stellen.
So ähnlich hatte die Partei bereits die Wahlstrategie für die Europawahl 2024 konzipiert: „Wir wollten, dass unsere Positionen so kommuniziert werden, dass das Trennende [...] nicht im Mittelpunkt stand.“[5] Die Wahlstrategie konzentrierte sich dementsprechend auf soziale Themen wie Umverteilung, Gesundheit und den Kampf gegen Konzerne und Superreiche. Krieg und Frieden, Flucht und Migration hingegen waren nur Randthemen in der linken Kommunikation. Fatalerweise waren diese Themen aber im Europawahlkampf die entscheidenden, medial bestimmenden Themen.[6] Während Die Linke versuchte, ihr Potenzial zusammenzuhalten und die spaltende Wirkung der Triggerpunkte zu vermeiden, setzte das BSW offensiv auf die Spaltung der linken Wähler:innen. Die Aussage „Krieg oder Frieden? Ihr habt die Wahl“ griff das Friedensthema auf sehr polarisierende Art und Weise auf. Mit einer restriktiven Zuwanderungspolitik und der Kombination sozialpolitischer Forderungen mit einer Abgrenzung nach unten (Bürgergelddiskussion) griff das BSW rechte Stimmungen in der Bevölkerung auf und gewann damals den überwiegenden Teil der „sozialkonservativen“ linken Wähler:innen für sich und war bei den Europawahlen und Landtagswahlen 2024 erfolgreich. Die Linke wiederum hatte es versäumt, zu diesen Fragen ausreichend überzeugend und vernehmbar Gegenpositionen zu formulieren.
Geschlossen gegen die Antimigrationsrhetorik
Was machte nun den Unterschied zwischen Bundestags- und Europawahlen aus, wo doch in beiden Wahlstrategien der Fokus auf Soziales und den Oben-Unten-Konflikt gelegt wurde und die triggernden Themen nicht in das Zentrum gestellt werden sollten? Voraussetzung des Erfolgs war zunächst, dass die Partei nach dem Weggang von Wagenknecht erstmals seit Jahren wieder mit einer Stimme sprach. Mit dem Fokus auf Mietendeckel und Preissenkungen hatte sie die soziale Frage außerdem alltagsnah thematisiert und mit der Forderung nach Abschaffung von Milliardären den Oben-Unten-Konflikt plakativ hervorgehoben. Dazu kamen ein aktivierender Haustürwahlkampf – so umfassend wie noch nie – und praktische Hilfen wie der Mietwucher- und Heizkostenrechner. Damit gelang es, von drei Prozent in den Umfragen im Dezember bis Mitte Januar auf vier Prozent und in die Nähe der Fünfprozenthürde zu kommen.
Die entscheidende Dynamik jedoch entwickelte sich mit der gesellschaftlichen Zäsur und Polarisierung, die entstand, als CDU/CSU, FDP und BSW gemeinsam mit der AfD für eine weitere Verschärfung der Migrationspolitik abstimmten und Die Linke offensiv den Kampf um den Triggerpunkt Migration aufnahm. Mit ihrer entschiedenen Opposition und der authentischen Empörung Heidi Reichinneks wurde Die Linke zur einzigen relevanten politischen Partei, die sich klar gegen diesen Rechtsruck wandte und die Hunderttausenden, die auf der Straße gegen Merz‘ Tabubruch demonstrierten, unterstützte. Während Habeck als Antwort auf Merz einen Zehn-Punkte-Plan für eine härtere Migrationspolitik vorstellte und damit Kompromissfähigkeit und Koalitionsbereitschaft mit der Union signalisierte, forderte sie, auf die Barrikaden zu gehen. Die Linke – nicht die Grünen, wie in früheren Wahlen – galt so als entschiedenster Gegenpol zum Rechtsruck und zur Faschisierung. Als es darauf ankam, vermied sie nicht das triggernde Thema Migration, sondern nutzte es offensiv, bezog klar Stellung für die Solidarität mit Geflüchteten und tanzte auf dem Triggerpunkt.
Allein die Kosten des alltäglichen Lebens, also die unmittelbaren ökonomischen Interessen aufzugreifen, hätte nicht ausgereicht. Aber die eindeutige Positionierung der Linken in der sozialen Frage war die Voraussetzung dafür, dass sie mit ihrer klaren Haltung in der Migrationsfrage erfolgreich sein konnte. Im Ergebnis entwickelte sie aus der Verbindung des Oben-Unten-Konflikts („keine Milliardäre“), dem Aufgreifen der unmittelbaren Lebensinteressen (Mieten und Preise) und der klaren Opposition gegen die rassistische Abschottungspolitik und die Anpassung der „Parteien der Mitte“ an rechts eine „antifaschistische Klassenpolitik“.[7]
Die Linke hat in diesem Wahlkampf also vieles richtig gemacht und im entscheidenden Moment richtig reagiert. Aber Stephan Hebel stellte zu Recht fest, ein Teil des Wahlerfolgs sei „Geschenken der Konkurrenz“ geschuldet, wie dem Tabubruch von Merz, der „offensichtlich einen Teil der gesellschaftlichen Restvernunft nach links mobilisierte“.[8] Die Linke hatte so das Glück der Tüchtigen. Sie kann aber nicht auf künftige weitere Geschenke hoffen. Die Partei muss sich dringend inhaltlich und konzeptionell weiterentwickeln. Die in der Vergangenheit immer wieder aufgeschobene Klärung und Bearbeitung innerer Widersprüche muss jetzt angegangen werden.
Es fehlt ein Konzept für die Sicherheitspolitik
In früheren Wahlen waren die Positionen der Linken zur Sicherheits- und Außenpolitik einer der wichtigsten Gründe, Die Linke nicht zu wählen.[9] Nicht zufällig griffen SPD und Grüne im Bundestagswahlkampf 2021 die Partei wegen ihrer Haltung zur Nato an. So war es ein Glück für Die Linke, dass im Wahlkampf 2025 die Migrationsdebatte dominierte und der Ukrainekrieg nur eine untergeordnete Rolle spielte. Umfragen zeigen jedoch, dass eine deutliche Mehrheit der linken Wähler:innen sich für eine stärkere Unterstützung der Ukraine ausspricht und etwa die Hälfte für höhere Verteidigungsausgaben. Nicht wenige dürften also die Partei trotz und nicht wegen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik gewählt haben. Allerdings grenzte sich Die Linke mit der polemischen Etikettierung des BSW als „Kreml-Partei“ und der Forderung nach effektiven Sanktionen gegen Putins Militär- und Machtapparat klar von Positionen ab, die die russische Aggression verharmlosen und sie als quasi defensive Reaktion auf die Osterweiterung der Nato interpretieren. Sie plädierte aus pazifistischer Tradition für eine nicht militärische Lösung des Konflikts, bezog aber klar Stellung für das nationale Selbstbestimmungsrecht der Ukraine. Damit war sie für Teile ehemaliger SPD- und Grünen-Wähler:innen – ungeachtet möglicher Differenzen in Sachen Waffenlieferungen –, wieder wählbar.
Die neue Phase imperialer Konkurrenz mit der Zunahme autoritärer Regime, die Aggression des russischen Imperialismus, die wachsenden Spannungen zwischen den USA und China, Trumps erratische wie brutale Interessenpolitik – all dies führt zu einem wachsenden Sicherheitsbedürfnis auch bei linken Wähler:innen und der Sorge vor einer militärischen Eskalation. Angesichts dessen steht Die Linke vor der Aufgabe, eine zeitgemäße Sicherheits- und Außenpolitik zu erarbeiten. Im Erfurter Programm der Partei findet sich die Forderung nach „struktureller Nichtangriffsfähigkeit“ und dem „Umbau der Streitkräfte auf der Basis strikter Defensivpotenziale“. Was dies jedoch unter den heutigen Bedingungen bedeutet, hat Die Linke bislang nicht konkretisiert. Angesichts der massiven Aufrüstungspolitik muss sie aber ein überzeugendes Gegenkonzept zum Wettrüsten entwickeln und Initiativen zu Rüstungskontrolle und Abrüstung vorschlagen, um Spannungen abzubauen und nichtmilitärische Konfliktlösungen zu ermöglichen.
Notwendig ist auch die Überwindung eines teilweise immer noch vorhanden Lager- bzw. Blockdenkens („Campismus“) aus den Zeiten des Kalten Krieges.[10] Dieses Lagerdenken war schon während des Kalten Kriegs fragwürdig und ist in den heutigen Zeiten, in denen kapitalistische Mächte um die Vormacht konkurrieren, erst recht falsch. Weder sind die USA die einzige aggressive Großmacht noch lassen sich die aktuellen Konflikte als Kampf des „liberalen Westens“ gegen die Autokratie verstehen. Glaubwürdige linke Politik darf keine „Doppelstandards“ kennen. Verletzungen von Menschenrechten, völkerrechtswidrige Kriege, die Einschränkung der Rechte von Gewerkschaften, Frauen und queeren Menschen müssen abgelehnt werden, unabhängig davon, welcher Staat sie begeht. Primärer Bezugspunkt einer solidarischen Außenpolitik dürfen nicht die Interessen von Staaten oder geopolitischen Blöcken sein, sondern emanzipatorische Bewegungen, die für demokratische und soziale Rechte sowie gegen autoritäre und imperialistische Bestrebungen kämpfen.[11] Ohne konzeptionelle Klarheit in diesen Fragen wird es schwierig sein, gegen Aufrüstung und die Militarisierung der Gesellschaft zu mobilisieren.
Friedensinitiativen mit Klimaschutz verbinden
Die unbegrenzte Ausnahmeregelung für Rüstungsausgaben in der Schuldenbremse ist auch eine Entscheidung gegen den Klimaschutz. Denn die finanzpolitische Priorisierung der Produktion von Waffen steht – da die realen Ressourcen (Arbeitskräfte, Produktionskapazitäten, Energie und Rohstoffe) begrenzt sind –, in unmittelbarer Konkurrenz zu einer grünen Industriepolitik.[12] Statt in den ökologischen Umbau der Industrie zu investieren, wird damit ein Industriesektor massiv gefördert, der sich durch eine exzessive Nutzung fossiler Energien und hohen Ressourcenverbrauch auszeichnet. Da jenseits der Ausnahmeregelungen die Schuldenbremse weiter gilt, die steigenden Zinslasten für die kreditfinanzierten Rüstungsausgaben bezahlt und die Kredite für Sondervermögen in der Zukunft auch getilgt werden müssen, nimmt der Druck auf Einsparungen im Kernhaushalt weiter zu. „Die Pläne der Union, SPD und Grünen sind trotz Infrastrukturfonds das Todesurteil für die Vision einer starken, grünen Industrie in Deutschland“, resümieren Tom Krebs und Isabella Weber.[13] Für linke Oppositionspolitik stellt sich daher die Aufgabe, den Militärkeynesianismus als Katalysator der Klimakrise anzugreifen und so eine Brücke zwischen friedens- und entspannungspolitischen Initiativen einerseits und der Klimabewegung andererseits zu schlagen.
Bereits im Bundestagswahlkampf spielten Klimaschutz und die notwendige ökologische Transformation kaum eine Rolle. Nachdem das Projekt der Ampelkoalition einer grünen, marktzentrierten Modernisierung des Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen und dem Widerstand der fossilen und rechten Lobby gescheitert war, versuchten Grüne und SPD nach dem politischen Debakel um das Heizungsgesetz eine Polarisierung um das potenziell triggernde Thema zu umgehen, während Union und FDP unter dem Label der „Technologieoffenheit“ die Interessen der fossilen Kapitalfraktionen vertraten. Zugleich ist es der extremen Rechten gelungen, eine Ablehnungsfront aus den verschiedenen, von der Transformation finanziell und in ihren bisherigen Lebensentwürfen betroffenen Gruppen gegen ökologische Politik zu schaffen. Der Versuch, das Klimathema „herunterzudimmen“ jedoch überlässt „den rechten Klimabremsern eine Reihe politischer Trümpfe. Den Rechten bleibt es derzeit vorbehalten, die negativen Verteilungsfolgen der Klimapolitik zu benennen, die finanziellen Sorgen zu skandalisieren, […] und den Krisen-, Unrechts- und Verlustängsten politisch Ausdruck zu verleihen.“[14]
Infrastruktursozialismus statt grüner Kapitalismus
Die GroKo wird die sozialen Ungerechtigkeiten der bisherigen Klimapolitik noch verschärfen. Sie sieht den CO2-Preis als zentrales Element der Transformation und verzichtet obendrein auf eine Kompensation durch ein Klimageld. Dies wird vor allem die unteren sowie die mittleren Einkommen treffen, die Verteilungsungerechtigkeit in der Klimapolitik vertiefen und den „Empörungsunternehmern“ von rechts weiteren Auftrieb geben, um generell gegen ökologische Politik zu mobilisieren. Dagegen gälte es, von links diese Verteilungsungerechtigkeit mit ökologischer Klassenpolitik anzugreifen – sprich: Die fossilen Konzerne und die Reichen mit ihrem Luxuskonsum nach dem Verursacherprinzip zur Finanzierung der Transformationskosten heranzuziehen und so untere und mittlere Einkommen zu entlasten. Dabei ginge es nicht nur darum, den Reichsten ihren Luxuskonsum einzuschränken (beispielsweise durch ein Verbot von Privatflügen), sondern im Zentrum müsste auch eine Politik der Umverteilung von privat nach öffentlich, zu gemeinwohlorientierten und allgemein zugänglichen Angeboten stehen – wie ein öffentliches, kostenloses Verkehrsangebot in der Fläche, Vergesellschaftung des Wohnungssektors, gebührenfreie Kitas, ein solidarisches Gesundheitssystem. Es geht um einen veränderten kollektiven Konsum, um einen „Infrastruktursozialismus“[15], der „Alternativen eines ressourcenschonenden Alltags für alle schafft, die Voraussetzung für die Legitimität notwendiger Einschränkungen bei ökologisch und sozial schädlichen Praktiken sind“.[16]
Angesichts von massiver Aufrüstung und weiter eskalierender Klimakrise werden diese beiden Triggerthemen weiter die politische Agenda bestimmen. Diese nicht zu bearbeiten bedeutet, den reaktionären und rechtsextremen Positionen das Feld zu überlassen. Sie müssen von links mit einer klassenpolitischen Orientierung selbst aktiv polarisierend und mobilisierend aufgegriffen werden. Nur so wird linke Politik sowohl bei Wahlen als auch gesellschaftlich mobilisierungsfähig sein und unterschiedliche Milieus im Rahmen einer verbindenden Klassenpolitik überzeugen können.
Neuer Einfluss und Zwang zum Kompromiss
Für die Partei Die Linke stellen sich mit dem Wahlerfolg und dem damit gestiegenen Einfluss neue Fragen. Sie verfügt bei Bundestagsentscheidungen, die einer Zweidrittelmehrheit bedürfen, über eine Sperrminorität. Bereits bei der Kanzlerwahl waren die Stimmen der Linken notwendig, um unmittelbar nach dem gescheiterten ersten Wahlgang einen zweiten zu ermöglichen. Auch bei der Wahl von neuen Verfassungsrichter:innen kommt es auf die Stimmen der Linken an. Sie bekommt damit einerseits Einfluss auf wichtige Personalentscheidungen, anderseits ist damit der Zwang zum Kompromiss mit den anderen Parteien verbunden. Dies wäre auch bei einer möglichen, in der Koalitionsvereinbarung vorgesehenen, grundsätzlichen Reform der Schuldenbremse so. Die Kunst bestünde darin, Kompromisse für partielle Verbesserungen auszuhandeln, aber gleichzeitig die grundsätzliche Kritik an der Regierungspolitik nicht aufzugeben und für weitergehende Ziele zu mobilisieren. Welche Fallstricke dabei existieren und welche Fehler begangen werden können, zeigte die Zustimmung der beiden Bundesländer mit linker Regierungsbeteiligung im Bundesrat zu den Ausnahmeregelungen von der Schuldenbremse. Realpolitisch war dies angesichts einer gesicherten Mehrheit im Bundesrat überflüssig und die Kritik des Bundesvorstands daran berechtigt. Stimmen, die forderten, dass ein von der Position der Bundestagsfraktion abweichendes Stimmverhalten im Bundesrat grundsätzlich nicht stattfinden soll, verkennen aber, dass der Bundesrat eine Institution zur Vertretung von Länderinteressen und der Aushandlung mit Bundesinteressen ist. Die Linke als Opposition wird Widersprüche aushalten müssen: „Im Zweifel zu verteidigen, was sie kritisiert, aber dabei immer auch zu kritisieren, was sie verteidigt.“[17]
[1] Bernd Ulrich, Zur Hölle mit den Triggerpunkten, in: „Die Zeit“, 24.2.2025.
[2] Vgl. Carsten Braband, Linke Triggerpunkte. Gesellschaftliche Haltungen und Klassenlagen von (potenziellen) Linke-Wähler:innen, rosalux.de, Berlin 2024.
[3] Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser, Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, Berlin 2023, hier: S. 362.
[4] Carsten Braband, a.a.O., Berlin 2024, S. 18 f.
[5] Janine Wissler, Martin Schirdewan, Harald Wolf, Ates Gürpinar und Katina Schubert, Nach der Europawahl: Maßnahmen auf dem Weg zum Bundesparteitag und zur Vorbereitung der Bundestagswahl 2025, die-linke.de, 24.6.2024.
[6] Janis Ehling, Brutale Niederlage. Woran Die Linke bei den Europawahlen scheiterte und was sie jetzt angehen muss, zeitschrift-luxemburg.de, 6/2024.
[7] Vgl. Thomas Goes, Die Linke nach der Wahl aufbauen!, emanzipation.org, 10.3.2025, S. 15.
[8] Stephan Hebel, Wahlerfolg der Linken: Lang lebe Rot-Rot-Grün (der anderen Art), freitag.de, 26.2.2025.
[9] Vgl. Mario Candeias, Eine Partei mit Zukunft: DIE LINKE. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung zum Wähler:innenpotenzial der LINKEN, rosalux.de, Berlin 2022, S. 22 f.
[10] Vgl. Dan La Botz, Warum manche Linke sich an der Seite von Diktatoren wiederfinden. Internationalismus, Antiimperialismus und die Ursprünge des Campismus, akweb.de, 20.8.2024.
[11] Vgl. Harald Wolf und Raul Zelik, Wir brauchen einen neuen linken Grundkonsens. Acht Vorschläge zu einer inhaltlichen Verständigung in der Linken, links-bewegt.de, 11.4.2022.
[12] Tom Krebs, Schriftliche Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 109, 115, 143h) (BT-Ds. 20/15096), bundestag.de.
[13] Tom Krebs und Isabella Weber, Der Militär-Keynesianismus schadet der Klimawende, surplusmagazin.de, 13.3.2025.
[14] Linus Westhäuser und Johanna Siebert, Warum wir Klimapopulismus brauchen, surplusmagazin.de, 10.1.2025.
[15] Mario Candeias et al., Reichtum des Öffentlichen. Infrastruktursozialismus oder: Warum kollektiver Konsum glücklich macht, zeitschrift-luxemburg.de, 2020.
[16] Dennis Eversberg, Martin Fritz, Linda von Faber und Matthias Schmelzer, Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt: Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation, flumen.uni-jena.de, Jena 2024, S. 29.
[17] Stephan Hebel, a.a.O.