Ausgabe Juli 2025

Zufälliges Überleben

Luz: Zwei weibliche Halbakte. Cover: Reprodukt

Bild: Luz: Zwei weibliche Halbakte. Cover: Reprodukt

Immer wieder heißt es: „Nehmen wir!“ Das expressionistische Gemälde „Zwei weibliche Halbakte“ von Otto Mueller, begonnen im Umland von Berlin im Jahr 1919, wechselt in den folgenden hundert Jahren einige Male den Besitzer, und das nicht immer rechtmäßig. 1937 wird es Teil der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ und erst 1999 wird es an die Tochter seines rechtmäßigen Eigentümers, des jüdischen Anwalts und Sammlers moderner Kunst Ismar Littmann, offiziell restituiert. Heute hängt es im Kölner Museum Ludwig. Warum ein knapp zweihundert Seiten langer Comic über dieses Gemälde? Und was ist das Besondere daran?

Zunächst zum Besonderen: Der Comic zeichnet sich durch einen ästhetischen Kniff aus, der den Leser vor eine Herausforderung stellt. Er ist nämlich vollständig aus der Perspektive des entstehenden, dann an vielen verschiedenen Orten hängenden Gemäldes erzählt. Diese Orte und vor allem die Personen, die vor dem Bild zu sehen und zu „hören“ sind, machen aus den dargestellten Frauen „stille Zeuginnen“ der deutschen Geschichte, wie es im Klappentext treffend heißt. Das Buch wird ergänzt durch Kurzbiografien wichtiger Protagonisten, die sehr nützlich sind, gerade weil man sie nur durch die „subjektive Kamera“ des Bildes sieht, ausschnittweise und ohne Kontext. Ebenfalls hilfreich ist die Chronologie im Anhang.

»Blätter«-Ausgabe 7/2025

Sie haben etwa 16% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 84% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (12.00€)
Druckausgabe kaufen (12.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Allzu perfekte Opfer

von Olga Bubich

„Das normale Vergessen ist der programmierte Zelltod des geistigen Lebens. Es formt die Erfahrung zu einer nützlichen Geschichte“, schreibt der amerikanische Schriftsteller Lewis Hyde. Da es keinen Grund gibt, ihm zu widersprechen, stellt sich eine nicht minder logische Frage – nützlich für wen?

Befreiung als Zusammenbruch

von Klaus-Dietmar Henke

Im August 1941 wandte sich Thomas Mann in einer seiner berühmten Radiobotschaften aus dem amerikanischen Exil wieder einmal an die deutschen Hörer. Die Sowjetunion schien fast besiegt, die Vereinigten Staaten befanden sich noch nicht im Krieg, Präsident Roosevelt und Winston Churchill hatten mit der Atlantik-Charta eben ihren Gegenentwurf zu Hitlers Pax Germanica der totalen Unterwerfung verkündet.

Kein »Lernen aus der Geschichte«

von Alexandra Klei, Annika Wienert

Wofür steht der 8. Mai 1945 in der deutschen Erinnerungskultur? Bereits zum 70. und zum 75. Jahrestags beschäftigten wir uns ausführlich mit dieser Frage. Ist dem jetzt, am 80. Jahrestag, etwas Neues hinzuzufügen?

Auschwitz vor Gericht oder: Nach den Wurzeln des Bösen fragen

von Fritz Bauer

Die Frage „Dienen KZ-Prozesse der politischen Aufklärung?“ unterstellt den wegen NS-Verbrechen eingeleiteten Strafverfahren einen instrumentalen Charakter; sie werden als Mittel zu einem Zweck, etwa dem Zweck der politischen Bewusstseinsbildung verstanden. Mündlich und schriftlich wird den Staatsanwälten der Bundesrepublik oft die Frage vorgelegt: Was bezweckt ihr denn eigentlich mit dem Auschwitz-Verfahren?